Es ist häufig ein Tabuthema. Wenn Lehrende Schülerinnen oder Schüler nicht mögen, wird das häufig verdrängt. Der bessere Weg ist, negative Gefühle gegenüber Schülern abzubauen und gleichzeitig Gewalt von Schülern präventiv einzugrenzen. Dazu rät der Classroom-Management-Experte Christoph Eichhorn.
Jeder Lehrende kennt das: Negative Emotionen gegenüber Schülern lassen sich kaum vermeiden. Aber sie sind riskant. Nicht nur für unsere Gesundheit. Sondern sie können auch unsere Beziehung negativ prägen. Das ist gerade bei gewaltbereiten Schülern von Bedeutung. Die werden dann nämlich schnell agressiv.
Der Beitrag zeigt, wie Sie negative Emotionen gegenüber Schülern abbauen und Schüler mit herausforderndem Verhalten auf ihre negativen Emotionen ansprechen. Damit fördern Sie Ihre Beziehung zu diesen Schülern und grenzen gleichzeitig das Risiko, dass diese Schüler gewalttätig werden, präventiv ein.
1. Negative Emotionen zulassen – ein starker Schritt
Negative Emotionen gegenüber Schülern zuzulassen ist einfacher gesagt als getan. (Zur Klarheit: Mit „zulassen“ ist hier nicht gemeint, sie einfach auszuagieren.)
Wenn Lehrpersonen negative Emotionen gegenüber Schülern spüren, zweifeln viele an ihrer Kompetenz. Das wird an Schulen, in denen negative Emotionen tabuisiert werden, sogar noch verstärkt. Das kann dazu führen, dass man negative Emotionen eher verdrängt. Damit verunmöglicht man aber ungewollt deren konstruktive Bearbeitung.
2. Negative Emotionen im schulischen Leitbild
Fallbeispiel: Eine Schule hat in ihrem Leitbild vermerkt: „Negative Emotionen unseren Schülern gegenüber sind nicht ungewöhnlich. Es ist hilfreich, diese zuzulassen, denn nur dann können wir sie konstruktiv bearbeiten, indem wir uns beispielsweise mit einer Person unseres Vertrauens oder einer Fachperson austauschen. Wer negative Emotionen gegenüber Schülern spürt und zulässt, hat bereits den ersten wichtigen Schritt in Richtung Emotionsverarbeitung getan.“
3. Negative Emotionen sind kein Schicksal
Wir können negative Emotionen leichter zulassen, wenn wir davon überzeugt sind, diese bearbeiten zu können.
4. Unterrichtsstörungen beziehungsförderlich interpretieren
Die Appraisal Theory
Die Appraisal Theory geht auf Arnold und Lazarus (1964, 1999) zurück, die die Stressforschung entscheidend beeinflusst haben. Ob ein bestimmtes Ereignis
bei uns eine Emotion hervorruft, beispielsweise Freude, Trauer, Angst usw., und mit welcher Intensität, hängt auch davon ab, wie wir ein Ereignis bzw. auch das Verhalten einer Person interpretieren (Reisenzein, R. (2000)).
In mehreren Experimenten konnte Lazarus (1964) bereits in den 1960er-Jahren zeigen, dass Kognitionen einen erheblichen Einfluss auf die Intensität unserer Emotionen haben können. Er zeigte beispielsweise Versuchspersonen einen Film über rituelle Genitalverstümmelungen bei Aborigines, was zu Stress bei den Beobachtern führte. Wenn der Filmvorführung jedoch ein intellektualisierender, verharmlosender Kommentar vorausging, dann fiel die Stressreaktion schwächer aus
Bewertungen – beziehungsfördernd oder beziehungsschädigend
Bei vielen Ereignissen ist es also erst unsere Bewertung, die ein Ereignis zu etwas Positivem oder Negativem macht. Auch im Schulalltag.
Fallbeispiel: Ein Schüler hat oft seine Hausaufgaben nicht dabei. Beziehungsschädigende Interpretation: „Das macht der doch nur, um mich zu provozieren.“ Oder: „Der will sich einfach keine Mühe geben, der ist einfach faul.“ Beziehungsförderndere Interpretation: „Er ist mit den Hausaufgaben überfordert – das stresst ihn.“
Fallbeispiel: Eine Schülerin stört immer wieder den Unterricht. Beziehungsschädigende Interpretation: „Die hat was gegen mich! Die verhält sich ja derart
unangemessen.“ Oder: „Das macht die doch nur, um sich wichtig zu machen und um Aufmerksamkeit zu erhalten.“ Beziehungsförderndere Interpretation: „Sie leidet darunter, dass sie sich in der Klasse isoliert fühlt. Durch ihr Stören will sie Anerkennung bei ihren Mitschülern.“ Oder: „Sie erlebt die Schule als sehr negativ und kann ihre starken Emotionen nicht beeinflussen. Das geht auch vielen Erwachsenen so. Mir fiel das auch schon schwer.“
5. „Putting Feelings Into Words“
Negative Emotionen mit einer Vertrauensperson teilen (Liebermann et. al. 2007). Schon allein das Mitteilen und Sich-verstanden-Fühlen können sehr erleichternd sein. Das liegt aber nicht jedem. Dann bietet sich die Möglichkeit, negative Emotionen aufzuschreiben.
6. Expressives Schreiben
„Expressives Schreiben“ (Pennebaker, 2019) bietet gute Möglichkeiten, Ärger zu relativieren. Als der Psychologe Dr. James Pennebaker in einer schwierigen persönlichen Situation war, wollte er nicht in psychotherapeutische Behandlung. Er begann damit, sich seine Sorgen von der Seele zu schreiben. Nach einiger
Zeit bemerkte er, das es ihm durch das Aufschreiben immer besser ging. Später begann er, dieses Vorgehen wissenschaftlich zu untersuchen, und veröffentlichte
seine Ergebnisse.
Beim expressiven Schreiben schreibt man auf, wie man etwas Belastendes erlebt hat, also was geschehen ist, was man gefühlt hat und welche Gedanken man hatte. Ohne sich dabei selbst zu zensieren. Dabei läuft das Ereignis noch einmal vor dem eigenen geistigen Auge ab. Das hilft, Abstand zu gewinnen (Barclay, Skarlicki, 2009).
In einer Studie schrieben Angestellte an vier aufeinanderfolgenden Tagen für circa 15–20 Minuten über einen Konflikt am Arbeitsplatz. Andere schrieben über ein neutrales Thema.
Jene, die den Konflikt niederschrieben, erlebten dabei für etwa ein bis zwei Stunden noch einmal die damit verbundenen negativen Emotionen. Aber einige Zeit
später waren sie weniger wütend und rachsüchtig. Viele hatten sogar Ideen für mögliche Lösungen. Insgesamt fühlten sie sich besser. Durch das Schreiben gewannen sie Einfluss und eine gewisse Kontrolle über das belastende Ereignis. Bei niemandem verschlechterte sich dadurch der Gesundheitszustand.
Fallbeispiel: Eine Lehrperson schrieb: „Schon wieder hat Robert gegen unseren Fairness-Code (die Klassenregeln) verstoßen. Das macht er doch nur deshalb, um
mich zu provozieren – voll doof. Er verstößt und verstößt und verstößt und verstößt. Das macht mich richtig wütend. Dabei habe ich schon mit ihm geredet. Da wollte ich ihm doch helfen. Dauernd bin ich angespannt. Auf Unterrichtsstörungen kann ich kaum mehr angemessen reagieren, sondern werde laut und werte schon mal einen Schüler ab. Dabei will ich das gar nicht. Das nervt mich voll. Bin ich etwa unfähig? Mit Robert will ich nichts mehr zu tun haben. Der soll die Klasse wechseln.“
Aufgepasst, Ausnahme (Kontra-Indikation): Für Menschen mit einer psychiatrischen Erkrankung, beispielsweise einer Depression oder Psychose, ist expressives
Schreiben nicht geeignet.
7. Die eigene Selbstwirksamkeit fördern
Zum Beispiel zu sich sagen: Ich kann meine negativen Emotionen gegenüber meinen Schülern reduzieren, wenn ich
- mit Frau X darüber spreche,
- besonders auf angemessenes Verhalten der Schülerin oder des Schülers achte, es für mich notiere und der Schülerin oder dem Schüler freundlich Anerkennung gebe. In vielen Supervisionsgruppen haben mir Lehrpersonen mitgeteilt, dass sich allein dadurch ihre Beziehung deutlich verbessert hat,
- mit der Schülerin oder dem Schüler über ihre oder seine Hobbys ins Gespräch komme und sie oder ihn dadurch besser kennenlerne,
- mit Kollegen darüber nachdenke, ob ihr oder sein Verhalten mit unerfüllten Bedürfnissen zusammen- hängen könnte (Rosenberg, 2016) und was die Schülerin oder der Schüler braucht, um es besser zu machen (Guhl, 2017),
- indem ich mir klarmache, dass das Verhalten der Schülerin oder des Schülers nicht bewusst gegen mich gerichtet ist, sondern dass sie oder er es nicht besser kann,
- ihr oder ihm eine wichtige Aufgabe übertrage und ihr oder ihm eine „Danke“-Karte (mehr dazu finden Sie weiter unten) überreiche.
8. Fallbesprechungen und Supervision
Fallbeispiel: An einer Schule, an der mehrere Lehrpersonen einer Klasse eine negative Haltung gegenüber einer Schülerin oder einem Schüler aufgebaut haben, überlegten die Lehrpersonen mit einer von außen kommenden Fachperson: „Was braucht das Kind, um es besser zu machen?“ Hier bietet sich an, nicht so lange abzuwarten, bis die Situation im Klassenzimmer immer schlimmer wird, sondern frühzeitig damit zu beginnen. Vor allem wenn wir wissen, dass unsere Vorgänger auch Schwierigkeiten mit diesem Kind hatten.
Zentrale Fragen bei Fallbesprechungen sind: – Hypothesenbildung: mögliche Gründe für das Verhalten des Schülers überlegen, wie beispielsweise schwierige Familienverhältnisse oder ob der Schüler eine Diagnose hat usw..
Weitere Aspekte von Fallbesprechungen sind:
- Was braucht der Schüler, um es besser zu machen?
- Welche Bedürfnisse könnten sich hinter seinem Stören verbergen? (Rosenberg, 2016)
- Was macht dieser Schüler schon gut?
- Ausnahmen: Wann hat es der Schüler gut gemacht?
- Könnten schulische Belastungsfaktoren, wie z.B. schlechte Noten, sich ausgeschlossen fühlen usw., mitverantwortlich für sein Stören sein?
Die Arbeit mit diesen Fragen relativiert unsere negativen Emotionen und hilft uns dabei, positiver auf den Schüler zuzugehen. Wir spüren, dass wir positiv Einfluss nehmen können.
Fallbeispiel: Eine Schülerin kam morgens immer total angespannt und negativ in die Schule. Dann stellte sich heraus, dass sie morgens vor der Schule zu Hause
immer Krimis sah. Die konnte sie aber nicht zu Ende sehen, weil sie in die Schule musste. Eine Hypothese war, dass das Mädchen den Lehrern ihrer Klasse die Schuld dafür gab, dass sie in die Schule musste und deshalb das Ende der Krimis oft nicht sehen konnte.
Das Beispiel zeigt, dass einige Schüler die Schule als Zwangskontext erleben. Da bietet es sich an, ihnen zu erklären, was Schulpflicht bedeutet und dass nicht wir Lehrer diese eingeführt haben.
Das weitere Vorgehen hier war, dass eine Lehrerin mit der Schülerin ein Gespräch führte und erklärte, dass es Schulpflicht gebe und sie ihr nicht erlauben dürften, später zu kommen. Sie vereinbarten, dass das Mädchen in die Ruhe-Oase der Klasse dürfe, wenn sie das wolle, bzw. dass die Lehrpersonen sie dorthin schicken, wenn sie sehr unruhig und angespannt ist. Das beruhigte schnell die Situation.
9. Ärger und Kränkung relativieren
Ärger und Kränkungen relativieren gelingt häufig, indem man beispielsweise zu sich sagt: „Was werde ich wohl in fünf Jahren darüber denken?“
Oder, wie die Autorin Luise Reddemann formuliert:„Das Leben ist nicht nur schön – aber auch schön“ (2019). Und in Anlehnung daran: Unterrichten ist nicht nur schön – aber auch schön. Um die schönen Seiten besser wahrzunehmen, notiere ich sie mir beispielsweise in Ruhe, vielleicht mit einer gemütlichen Tasse meines Lieblingsgetränks, zweimal pro Woche. Ebenso, was mir gut gelungen ist, wie beispielsweise etwas Kompliziertes gut erklärt haben; einen klaren Auftrag gegeben haben; bei einer starken Unterrichtsstörung die Interventionsleitlinien eingehalten haben; etwas eingeführt haben, was allen gefällt; erkannt haben, was einer Schülerin mit herausforderndem Verhalten gut gelungen ist, und ihr Anerkennung gegeben haben, über die sie sich richtig gefreut hat; die Klasse aktiviert haben usw.
Christoph Eichhorn