Bildung ist für jeden Menschen und die Gesellschaft unverzichtbar, denn ohne sie würden all das angesammelte Wissen über die Jahrhunderte und alle Verhaltensstandards verloren gehen. Das deutsche Bildungssystem steht immer wieder stark in der Kritik. Es ist leicht, kritisch zu sein – weniger leicht, ein erfolgreiches Bildungssystem zu verantworten. Dennoch ist Kritik wichtig, denn sie gibt den Entscheidern in der Politik Feedback, wie sie das System noch besser bauen können. Gerade deshalb ist es wichtig, über Länder mit den besten Bildungssystemen zu sprechen.
Das Schulsystem in Neuseeland zählt nach internationalen Standards zu den besten der Welt. Dafür gibt es viele Gründe. So investiert Neuseeland vergleichsweise viel Geld in sein Bildungswesen. Mit 6,5 % des Bruttosozialprodukts liegt es hier weltweit auf dem dritten Platz. Doch was macht ein Schulsystem so viel besser als unseres hier in Deutschland? Wagen wir einen Blick über den Tellerrand.
Organisation/Schulleitung
Neuseeland hat Anfang der 90er-Jahre einen großen Teil der Verantwortung für die Verwaltung und Leitung der einzelnen Schulen an diese selbst abgegeben. Die Idee dahinter ist, dass Schulen, zu deren Trägern übrigens auch Eltern gehören, die sich aktiv um neue Schüler bemühen müssen, auch einen besseren Unterricht bieten und ein leistungsorientiertes Bildungssystem fördern.
Nicht zuletzt sieht man hier akademische Wissensvermittlung zwar als wichtig an, aber mindestens genauso wesentlich den Erwerb von praktischen Kompetenzen und Fähigkeiten zur Problemlösung.
In Neuseeland gibt es keine Aufteilung in Realschule, Gymnasium etc., sondern alle Schüler besuchen zusammen die Grundschule (Primary School) und anschließend Intermediate School (Mittelschule) bzw. High School (Gesamtschule).
Fächer/Inhalte
Das neuseeländische Curriculum legt bereits in der Grundschule großen Wert auf die 5 Schlüsselkompetenzen:
- relating to others (wie gehe ich mit anderen um)
- managing yourself (Selbstverantwortung)
- thinking (sebstständiges Denken)
- using language, symbols, and texts (Nutzen von Sprache, Symbolen und Texten)
- participating and contributing (Teilnehmen und Beitragen)
Neben den klassischen Fächern wird eine verhältnismäßig große Auswahl an ausgefallenen Fächern mit praxisbezogenen Inhalten angeboten. Inhaltlich werden acht Lernbereiche unterteilt: Englisch, die Künste, Gesundheit und Körperschulung, Fremdsprachen, Mathematik und Statistik, Naturwissenschaft, Sozialwissenschaften sowie Technologie. Damit sollen fünf Schlüsselkompetenzen entwickelt werden: Denken, Sprachgebrauch und Textverständnis, Eigenverantwortung, Rücksichtnahme sowie Teilnahme und Mitarbeit. Nicht ohne Grund hat das neuseeländische Schulsystem einen sehr guten Ruf. Die Art und Weise des Lernens ist hier anders. Ebenso wichtig wie das akademische Lernen ist der Erwerb von Kompetenzen, wobei eigenverantwortliches Handeln gezielt gefördert wird. „Learning by Doing“ in Form von projekt- und gruppenbezogenem Lernen ist ein wichtiges Grundprinzip der Pädagogik. Die Schüler arbeiten weitgehend selbstständig.
Wissensdurst, Neugier und das Erkennen der eigenen Talente stehen im Vordergrund – nicht Leistungsdruck, Wettbewerb und Prüfungsangst. Das stärkt das Selbstvertrauen und die Eigenständigkeit der Schüler. Das vertrauensvolle Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern ist ein wichtiger Bestandteil der neuseeländischen Schulphilosophie.
Bewertung
Das Schulsystem in Neuseeland macht keinen Unterschied bei der Bewertung von akademischen und nicht akademischen Fächern. Der Vorteil ist, dass eher praktisch begabte Schüler nicht hinter den „Denkern“ zurückstehen. Außerdem ist damit eine frühere Orientierung auf einen späteren Beruf möglich. Internationale Gastschüler können so Fächer ausprobieren, die es an den Schulen zu Hause nicht gibt wie bspw. Tourismus, Ernährungswissenschaft, Grafikdesign, Robotertechnik oder Automechanik.
Schultag/Schuljahr
Die Schule beginnt in Neuseeland um 9:00 Uhr und endet jeden Tag um 15:00 Uhr (Primary und Intermediate School – das College endet ca. 15:15 Uhr). Hausaufgaben bekommen die Kinder in der Regel nicht auf, nach der Schule haben sie Freizeit und können ihren Hobbys nachgehen oder lernen.
Das Schuljahr ist in vier Terms zu je zehn Wochen unterteilt. Zwischen den einzelnen Terms gibt es zwei Wochen Ferien, nach Term 4 – im neuseeländischen Sommer – folgen die großen Ferien. Erst am Ende von Term 4 werden Prüfungen geschrieben, nicht das ganze Jahr über.
Abschlüsse
Das NCEA (New Zealand Certificate of Educational Achievement) ist der wichtigste Schulabschluss in Neuseeland. Er gliedert sich in drei Stufen. Level 1 entspricht der Mittleren Reife und kann nach Year 11 abgelegt werden. Level 2 nach Year 12 ist wie das deutsche Fachabitur, und mit Level 3 hat man das Abitur und einen Hochschulzugang in der Tasche. Besonders attraktiv ist das NCEA (Level 3) für Schüler, die gerade einen Realschulabschluss gemacht oder die 10. Klasse beendet haben. Wenn diese direkt an eine High School in Neuseeland wechseln, können sie eineinhalb Jahre später bereits einen Abschluss machen, der unter bestimmten Voraussetzungen dem deutschen Abitur entspricht. Damit haben sie die gymnasiale Oberstufe doppelt so schnell hinter sich gebracht wie ihre deutschen Mitschüler.
Dies sind nur einige Punkte, in denen sich das neuseeländische Bildungssystem vom deutschen Bildungssystem unterscheidet. Aber eins wird uns allen klar: Es wird Zeit, dass das deutsche Mindset umprogrammiert wird, denn es geht auch ganz anders- ohne Leistungsdruck und insbesondere mit dem Fokus auf intrinsischer Motivation, denn nur so lernen Kinder überhaupt Inhalte nachhaltig. Weniger Fächer, dafür so, dass man das Gelernte auch anwenden und vor allem den Fokus auf die Stärken legen und an den Stärken arbeiten kann.
Edit: *Buchempfehlung*
Ein Bildungssystem, in dem Wissenschaftler und Lehrer zusammenarbeiten und Bildungsentscheidungen gut durchdacht sind und anschließend von allen gelebt werden.
„Der tanzende Direktor“ von Verena Friederike Hasel vergleicht das Schulsystem in Neuseeland mit Deutschland und regt zum Nachdenken und Umdenken an.
Eine wunderbare Lektüre für alle Lehrerinnen und Lehrer!
Jennifer Gouasé