Rheinland-Pfälzische Schule

„Lehrkraft zu sein, ist Berufung“

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Ferien sind vorbei, und das neue Schuljahr hat wieder begonnen. Wir stehen erneut vor umfangreichen Aufgaben und Herausforderungen, mit dem Ziel, unsere Schülerinnen und Schüler in allen Bereichen bestmöglich zu fördern und zu fordern. Natürlich ist es höchste Zeit, bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen und den zunehmenden Belastungen entgegenzuwirken. Unsere Vorstellungen und Forderungen, wie wir Schule verbessern können, kennen Sie. Dafür setzen wir uns auch in diesem Jahr wieder mit großem Engagement und Nachdruck ein.

 

Trotz all der vielen Probleme, die wir in unserem Schulsystem sehen, möchte ich den Blick auf die zurückliegenden Ferien richten. Ich hoffe, Sie konnten sich erholen, die Gedanken schweifen lassen und vielleicht auch einen schönen Urlaub genießen. Ich habe mir in diesem Jahr gemeinsam mit meiner Frau einen Lebenstraum erfüllt: eine Reise nach Tansania, um eine Safari zu erleben. Die Tierwelt in der Serengeti ist einfach unbeschreiblich. Wir hatten so viele wunderschöne Momente und kamen aus dem Staunen nicht heraus. Darüber hinaus hatten wir das Glück, wunderbare, herzliche Menschen kennenzulernen.

 

Unsere Guides erzählten uns viel über das Leben und die Kultur vor Ort. Natürlich sprachen wir, berufsbedingt, auch über das Schulsystem. Es war absolut beeindruckend, mit welchen Voraussetzungen diese beiden jungen Männer ihren Weg gegangen sind. Zum Abschluss unseres Gesprächs lud uns Godson ein, seine Schule zu besuchen, die auf unserem Weg zum Flughafen lag. Dieser Einladung sind wir natürlich gefolgt und durften eine staatliche Schule hautnah erleben.

 

Wir wurden mit großer Freude empfangen. Die Kinder liefen auf uns zu, begrüßten uns und wollten mit uns spielen. Wir durften das gesamte Schulgelände besichtigen: große Klassenzimmer ohne Fenster, ausgestattet mit einer klassischen Kreidetafel, deren beste Zeit längst vorbei ist; Pulte, an denen drei Kinder gleichzeitig sitzen; drei Toiletten für die gesamte Schule.

 

Als wir mit dem Schulleiter in seinem Büro (einem kleinen Raum mit Regal und Schreibtisch, ohne PC oder technische Geräte) über die Klassengrößen in Deutschland sprachen, mussten unsere Guides und er laut lachen. Dort gibt es keine Klasse mit weniger als 60 Kindern, die größte hat sogar 126 Schülerinnen und Schüler. Stellen Sie sich vor, so viele Kinder gleichzeitig zu unterrichten! Für individuelle Förderung bleibt weder Zeit noch Möglichkeit. In manchen Klassen haben nicht einmal alle Kinder einen eigenen Platz; wer zu spät kommt, muss auf dem Boden sitzen.

 

Die Schulwege sind lang, bis zu 15 Kilometer zu Fuß, oft in den frühen Morgenstunden. Jedes Kind trägt dabei ein Stück Holz und zwei Liter Wasser mit sich – für das gemeinsame Mittagessen von 670 Schülerinnen und Schülern. Täglich gibt es Mais und Bohnen, die vor Ort mit Holzfeuern zubereitet werden. Ohne die Mithilfe aller wäre das nicht möglich. Selbst das Essen wird häufig von besserverdienenden Eltern gesponsert.

 

Als fußballbegeisterter Mensch konnte ich es in der Pause kaum fassen. Zwar gibt es einen Fußball- und Basketballplatz (ohne Tornetze, Linien usw.), aber keinen Ball – die Schule kann sich das nicht leisten. Die Kinder basteln sich ihre Bälle aus Papier und anderen Materialien. Frustration? Fehlanzeige! Sie sind glücklich, rennen über den Platz, spielen gemeinsam und strahlen uns immer wieder an, als könnten sie es kaum erwarten, dass wir mit ihnen gemeinsam etwas machen.

 

Wir gingen mit in den Unterricht und wurden zur Begrüßung mit mehreren Liedern empfangen, darunter auch das wohlbekannte „Bruder Jakob“. Musik und Tanz spielen eine große Rolle, weil sie Gemeinschaft stiften und beim Lernen helfen. Wir sahen Lehrkräfte, die, wie uns berichtet wurde, seit Jahren oder gar Jahrzehnten alles für ihre Schülerinnen und Schüler geben, um ihnen die Chance auf ein Studium und ein besseres Leben zu ermöglichen. Lehrkräfte genießen dort hohes Ansehen, auch wenn sie nicht gut bezahlt werden. Unsere Guides sprachen mit großer Dankbarkeit von ihren eigenen Lehrerinnen und Lehrern. Der Direktor, selbst Godsons früherer Lehrer, erinnerte sich lebhaft an dessen Schulzeit und zeigte sich sichtlich stolz auf seinen Weg.

 

Die Verhältnisse dort sind für uns kaum vorstellbar – und doch eint uns etwas: der unbedingte Wille, den Kindern die bestmögliche Bildung zu ermöglichen und dafür alles zu geben, damit es ihnen gut geht und sie eine schöne Schulzeit erleben.

 

Natürlich dürfen wir unsere eigenen Probleme nicht ignorieren. Vielleicht denken Sie aber beim nächsten Gespräch darüber an meine Schilderung und sehen manche Dinge in einem anderen Licht.

 

Ich wünsche Ihnen allen ein wundervolles Schuljahr mit vielen schönen Momenten mit Ihren Schülerinnen und Schülern sowie Ihren Kolleginnen und Kollegen. Eines steht fest: Lehrkraft zu sein, ist Berufung und macht nach wie vor unendlich glücklich! Zeigen wir weiterhin unser großes Engagement für die Generationen von morgen.

 

Fabian Reichert