Klassenleitungen von ersten Schuljahren sowie Schulleitungen, melden in den letzten Jahren vermehrt die stetig steigenden Herausforderungen und Belastungen an uns zurück. Die Heterogenität der Schülerschaft hat es von je her im ersten Schuljahr durch die individuellen familiären, kulturellen und sozioökonomischen Hintergründe sowie Unterschiede in der kognitiven, emotional-sozialen und körperlich-motorischen Entwicklung und durch unterschiedliche sprachliche Voraussetzungen schon immer gegeben. Sie ist damit selbstverständlicher Bestandteil bei der differenzierten Planung des Unterrichts. Die Intensität der Faktoren, die die Heterogenität ausmachen, hat in der Vergangenheit (teilweise regionalbedingt) aber so stark zugenommen, dass die Lehrkräfte bei der vorgesehenen Vermittlung von Unterrichtsinhalten immer öfter an inhaltliche und zeitliche Grenzen stoßen. Ursache dafür ist u. a., dass viele Kinder bei Schuleintritt nicht mehr über ausreichende Vorläuferkompetenzen im motorischen, sozialen, sprachlichen und mathematischen Bereich verfügen und wichtige motivationale und emotionale Faktoren bei ihnen teilweise nicht im bereits möglichen Maße ausgebildet sind. Die korrekte Haltung des Schreibstiftes, sicheres Ausschneiden, rücksichtsvoller Umgang miteinander in der Gruppe, einfaches phonologisches Bewusstsein, Kenntnis der Ziffern, altersangemessene Selbstständigkeit und Konzentrationsphasen sind nur wenige Beispiele aus Rückmeldungen der Lehrkräfte, die über das ursprünglich gekannte Maß hinaus mit viel Zeit und Kräften nachträglich im Anfangsunterricht erarbeitet werden müssen, bevor spezifische Inhalte der Unterrichtsfächer vermittelt werden können.
Wenn zudem Kinder mit geringen oder keinen Deutschkenntnissen in der Klasse sind, wird die beschriebene Situation durch die notwendige Sprachvermittlung noch anspruchsvoller. Die Ursache für die beschriebene Ausgangslage vieler Kinder fußt wahrscheinlich u. a. auf der in manchen Familien nicht mehr umfänglich stattfindenden Sozialisation. Erziehungsverantwortung wird zudem von manchen Eltern auch gerne auf Institutionen abgeschoben. In den ersten Lebensjahren der Kinder ist dies die Kita, in der die Erzieherinnen und Erzieher ebenfalls zahlreichen veränderten Herausforderungen gegenüberstehen, die nicht alle umfänglich bewältigt werden können. Dazu trägt auch der weit verbreitete Personalmangel bei, der z. B. im Krankheitsfall von Personal innerhalb der Kita nicht selten zu Ausfall der Vorschulkurse führt. Die Erzieherinnen und Erzieher leisten mit der Umsetzung unterschiedlicher Vorschulprogramme, die oft auch schon in Kooperation mit der aufnehmenden Grundschule stattfinden, gute Grundlagenarbeit und sind nicht für die geschilderten Veränderungen im Grundschulbereich verantwortlich. Die aktuelle Situation veranlasst den VBE RP zur Forderung eines verbindlichen Schuleingangsjahres, der die Übergangsphase der Kinder vom Elementar- in den Primarbereich neu definiert, dabei vereinheitlicht und zugleich Fachpersonal mit den jeweiligen Kompetenzen vereint. Kernpunkte eines Schuleingangsjahres könnten so aussehen:
- Das verbindliche Schuleingangsjahr beginnt für Kinder ab 5 Jahren und ist an der Grundschule angesiedelt.
- Die Grundschulen können entscheiden, ob die Schuleingangsjahrstufe für sich oder jahrgangsübergreifend stattfindet. Gewinnbringende Kooperationsmöglichkeiten mit den Kindern der weiteren Klassen sowie die Partizipation am Schulleben sind immer gegeben.
- Personalisierung der Schuleingangsstufe mit Grundschullehrkräften und dafür qualifizierten Erzieherinnen & Erziehern.
- Gezielte altersgerechte Förderung von Vorläuferkompetenzen sowie Aufbau von motivationalen und sozialen Kompetenzen.
- Durchführung von Sprachstandserhebungen vor Eintritt und entsprechende Fördermaßnahmen, z. B. in Form von intensiven Sprachkursen.
- Einbeziehung multiprofessioneller Teams, die aus Förderschullehrkräften (L) sowie Fachkräften für Ergotherapie, Logopädie und Sozialpädagogik bestehen.
- Dokumentation der Kompetenzen durch alle Beteiligten in einem Entwicklungsbericht, der regelmäßig den Eltern erläutert wird und gezielte Förder- und Fordermaßnahmen festlegt.
- Der vorzeitige Übergang von Kindern in die Klassenstufe 1 soll möglich sein, wenn diese bereits die notwendigen Voraussetzungen dafür haben.
Ein Schuleingangsjahr kann unsere Kinder grundlegend auf die Grundschulzeit vorbereiten, ihnen damit langfristig positive Lernerfahrungen und Selbstbewusstsein geben und zugleich den Grundschullehrkräften aktuelle Belastungen im Schulalltag nehmen und reguläre Unterrichtsinhalte wieder in den Fokus stellen. Einer Realisierung gehen natürlich viele notwendige Abstimmungsprozesse mit allen Beteiligten voraus. Wir spüren, dass diese Idee bei unseren Mitgliedern und bei vielen politisch Verantwortlichen auf großes Interesse und Zustimmung trifft und stehen jederzeit für den zielführenden Dialog bereit!