Rheinland-Pfälzische Schule

Der Ernstfall tritt ein: Abschlussfahrt nach Peschiera del Garda

Es ist mal wieder so weit: Vier Jahre sind im Fluge vergangen und das große Finale steht unseren Abschlussschülern unmittelbar bevor. Trommelwirbel: Abschlussprüfungen? Ach, i wo! Wir befinden uns doch in Rheinland-Pfalz, da muss man nicht überprüfen, ob die unermüdlichen Bemühungen der letzten Jahre auf fruchtbaren Boden gefallen sind. In unserem schönen Lande (Gott schütze es!) dürfen wir stattdessen von dem durchschlagenden Erfolg unserer pädagogischen Arbeit ausgehen und uns erfreulicheren Dingen zuwenden. Und so gönnen wir den uns anvertrauten Eleven sowie auch uns selbst ein paar Tage der kulturellen Erbauung im Land, wo die Zitronen blüh’n, direkt am Lago di Garda bei Sonne satt, Vino und Festspielen …

Denkste! Natürlich nicht! Es kübelt aus Eimern, während wir im Bus in Richtung Süden sitzen und es scheint auch so bald nicht aufhören zu wollen. Außerdem befinden wir uns auf einer Schulfahrt, also streicht den Vino gleich wieder. Ins Glas kommt stattdessen Orangensaft und in die Tassen Cappuccino. Schon auf der Hinfahrt gibt es die deutsche und die schweizerische Variante davon, so zur Einstimmung. Erste Zigarettensünden der Schüler werden geahndet und leider finden sich bei der Ankunft in Peschiera gleich drei Kaugummis im Mittelgang des Busses, die eine feste Verbindung mit dem dortigen Teppichboden eingegangen sind. Der Busfahrer verzieht keine Miene, erwähnt aber beiläufig, dass eine Reinigungsfirma circa € 71,– pro zu entfernendem Kaugummi berechnen wird, im Falle, dass dies der vorläufige Endzustand bliebe. Wir nehmen uns also fest vor, den Schülern eine Eigenreinigung bereits beim bald anstehenden Abendessen vorzuschlagen.

Als wir aussteigen, hat Petrus ein Einsehen und lässt uns trockenen Fußes in unsere Mobilheime im „Camping Butterfly“ kommen. Die Luft ist sauber, die Sonne scheint nun tatsächlich. Zeit für unseren ersten italienischen Cappuccino, den wir genüsslich und für nicht allzu teure quattro E-Uro am Seeufer genießen. Am Abend dann, nach erfolgter Speisung und dem bereits erwähnten Einlauf wegen der Kaugummis, eine kurze Expedition ins überschaubare, aber hübsche Zentrum von Peschiera.

Dann bricht nach intensiver Nachtruhe, die für den zu kurzen Schlaf zu Beginn des Hinreisetages kompensieren muss, der erste volle Tag an. Ich hatte ja Kultur versprochen und die gibt es jetzt auch – solange man darunter einfach nur den Gegensatz zur Natur verstehen will. Wie kultiviert es ist, sich im Gardaland (so etwas wie Phantasialand en miniature) auf zahlreichen Achterbahnen in gefühlt selbstmörderischer Absicht multiple Schleudertraumata zuzuziehen, sei mal dahingestellt. Es ist aber doch eine willkommene Gelegenheit, die Schüler an die Physikstunden zu erinnern, in denen sie sich verzweifelt bemüht hatten, zu verstehen, was denn nun Fliehkräfte seien und wie man die Beschleunigung berechnet. Aber wozu rechnen, wenn man sie spüren kann?

Die italienische Sonne brennt dabei fröhlich vom Himmel und erinnert so manchen an die daheim vergessene Sonnencreme, was sich aber nicht zu einem größeren Problem entwickelt, da dies der einzige wirklich sonnige Tag der ganzen Fahrt ist. Schon am Nachmittag zieht es sich, während wir noch am Strand sitzen und uns über die Erfrischung des noch ziemlich kühlen Seewassers freuen, komplett zu und kündigt einen baldigen Witterungswechsel an.

Der Abend bringt, nebst Pasta, eine Wiederholung der Expedition des Vorabends, wenn auch ungleich feuchter.

Jetzt aber! Jetzt kommt Kultur! Und zwar echte! Der immer noch kaugummiverklebte Bus ist startklar und wir begeben uns, mit leichter Verspätung, auf die Fahrt nach Verona, die wir eigentlich innerhalb von dreißig Minuten bewältigen sollten.

Doch es kommt anders, denn irgendwie haben es sich an diesem Morgen zahlreiche andere Exemplare der Spezies Mensch, von denen einige das Autofahren als Kampfsport begreifen, ebenfalls in den Kopf gesetzt, das schöne Verona besuchen zu wollen – oder vielleicht arbeiten sie einfach dort, wer will das schon wissen? Also stehen wir in einem handfesten Stau, der sich de facto durch ganz Verona zieht – ein wirklich authentisch italienisches Großstadterlebnis.

Somit dauert die Fahrt statt dreißig eben neunzig Minuten, da können wir von Glück sagen, dass unsere Fremdenführerinnen vor Ort geduldig sind und eben noch einen Cappuccino trinken, während sie auf unsere Ankunft warten.

Endlich angekommen, steigen wir an einem beachtlich großen Bushafen aus. Busbahnhof trifft es nicht ganz. Er ähnelt eher einem Flughafen – nur eben einem für Busse und seine Grundfläche ist sicherlich mit jener des Hahner Flughafens vergleichbar.

Von dort geht es nun per pedes weiter, dem Regen zum Trotz. Durch eine Straßenunterführung und über eine Brücke, die uns über die Etsch, den zweitlängsten Fluss Italiens, bringt, tragen uns Schusters Rappen in Richtung der alten Stadtmauer Veronas, die noch aus römischer Zeit stammt und ein wirklich imposantes Bauwerk ist. Aber nicht nur das. Man kann sich auch recht gut daran orientieren, denn sie führt den Besucher direkt in die Innenstadt, wo man die architektonischen Hinterlassenschaften der römischen Antike, von denen am erwähnenswertesten das Kolosseum ist, bewundern kann. Zudem lässt der städtebauliche Pragmatismus der Veronesen aufmerken. Wenn irgendwo noch eine römische Fassade stand, wurde die eben als Wand eines neu entstehenden Hauses genutzt und blieb so Bestandteil des Innenstadtbilds. So entstanden Gassen, deren bauliche Beschaffenheit die Herzen der Romantiker, aber offenkundig auch schon jenes eines gewissen William Shakespeare aus Stratford-upon-Avon, höherschlagen ließen. Der nahm sich des Stoffes der italienischen Vorläufer an und schuf die vorläufige Endfassung der wohl romantischsten Liebesgeschichte der frühneuzeitlichen okzidentalischen Literatur, die Tragödie Romeo und Julia, die Shakespeare ebenfalls in Verona verortet.

Dabei nahm er sich natürlich einige künstlerische Freiheiten. Zum Beispiel dichtete er Julias Balkon einfach hinzu, denn das Haus der veronesischen Familie Cappello, die Shakespeares Capulets Pate stand, besaß eigentlich keinen Balkon – ein Umstand, den die Stadt Verona, die das Haus im Jahre 1905 aufkaufte, in dem schon oben erwähnten unnachahmlichen italienischen Pragmatismus zu korrigieren wusste. Allein aufgrund der berühmten Balkonszene strömten jährlich Tausende Kulturbegeisterte nach Verona und wollten den berühmten Balkon sehen. Natürlich waren sie enttäuscht, wenn sie statt des erwarteten Balkons nur einen schmalen Austritt vorfanden. Die Stadtväter Veronas beschlossen also, dass man den Menschen ihre Illusionen lassen sollte. Wenn die eben belogen werden wollten, dann bekamen sie ihren Balkon und alle waren glücklich.

Erwähnenswert sind natürlich auch die in Grabungen freigelegten antiken römischen Mosaike, die von der Straße aus durch Plexiglasabdeckungen bestaunt werden können, sowie die zahlreichen prächtigen Sakralbauten Veronas.

Kulturbeseelt und aufs Neue cappuccinogespritzt verlassen wir die Innenstadt und gönnen den Kindern, die bis jetzt bei rechtem Sauwetter mit Regenschirmen und in Capes gewickelt immer brav hinter uns und den Fremdenführerinnen hergestiefelt sind, eine kleine Shoppingpause in einem ansehnlichen Einkaufszentrum. Diese endet jedoch jäh, als plötzlich der Feueralarm losgeht und die Mall geräumt wird, wonach wir bereitwillig zum Bus zurückkehren, wo uns unser mittlerweile lieb gewonnener Busfahrer Sascha in Empfang nimmt. Zurück in Peschiera gibt es für alle, die darauf Lust haben (das sind am Ende nur Sascha, meine Kollegin und ich), einen Spaziergang durch den Ort mit Besuch der Bilderausstellung eines lokalen Künstlers von überregionalem Ruf. Der Tag endet in ähnlicher Weise wie die Vortage, was zwar nicht spannend, dafür aber erholsam ist.

Und schon bricht der letzte volle Tag der Klassenreise an. Es geht mit dem Schiff über den Lago nach Bardolino zum Feilschen und Shoppen auf dem Wochenmarkt, was wir bei unverändert nasser Witterung in Angriff nehmen. An den Regen haben wir uns gewöhnt und er tut der guten Laune keinen Abbruch. Der Markt ist gut besucht, man drängt sich durch die Stände, Geschäfte werden gemacht, Cappuccino konsumiert und das Ortsinnere erkundet.

Am frühen Nachmittag fahren wir mit dem Bus zurück nach Peschiera. Wir haben Eisspray besorgt und einige Schüler bemühen sich, die Kaugummis in Eigenregie vom Teppichboden des Busses zu entfernen, was schließlich gelingt, während ich mir in einem der Bussitze ein kleines Nickerchen gönne. Sascha ist zufrieden und wir alle brechen zu Fuß in die Einkaufstempel Peschieras auf, um uns für den Abreisetag mit Proviant einzudecken. Am Abend gibt es Pizza, das hebt die Stimmung. Natürlich gehen wir ein letztes Mal mit allen Schülern in ein Restaurant und spendieren ihnen alkoholfreie Cocktails, für die wir mit dem erfreuten Wirt einen Sondertarif aushandeln. Dafür belegen wir seinen Außenbereich bis auf den letzten Platz, was er wegen der noch relativ ruhigen Vorsaison durchaus begrüßt.

Aufstehen ist am nächsten Morgen um fünf. Dann geht es zum Frühstück und zur Abnahme der Mobile Homes. Um halb acht ist Abfahrt. Wir kommen gut durch. Endlich wird das Wetter besser. Nach dreizehn Stunden ohne besondere Vorkommnisse steigen wir daheim aus dem Bus und können glückliche Schüler, die trotz Erschöpfung schon wieder gemeinsame Wochenendpläne schmieden, ihren erwartungsvollen Eltern übergeben. Schön war’s, so alles in allem. Venetien ist eine Reise wert. Gerne immer wieder.

fh