„Mögest Du in interessanten Zeiten leben”. So lautet ein chinesisches Sprichwort, das aber eigentlich kein guter Wunsch, sondern eher eine Verwünschung ist, denn was gemeint ist, ist so gar nicht freundlich. Interessant werden Zeiten nämlich aus der chinesischen Perspektive durch Herausforderungen, Turbulenzen, Umstürze, Kriege, kurz: Nöte aller Art.
Wir könnten mit Fug und Recht behaupten, gerade solche „interessanten” Zeiten in Europa zu erleben, manche von uns Europäern selbstverständlich sehr viel intensiver und herausfordernder als andere, aber er- und durchleben müssen wir sie alle. Von dem von ganz Europa und den transatlantischen Partnern als sehr bedrohlich empfundenen Krieg in der Ukraine über den Krieg im mittleren Osten, der auch auf deutschen Straßen seine Auswirkungen zeigt, bis hin zu der Gefahr eines nie dagewesenen Rechtsrucks in Ostdeutschland und den Bestrebungen islamistischer Extremisten, in Deutschland ein Kalifat zu errichten und den Gewalttaten linker Extremisten, die abseits der Parlamente ihre politischen Gegner per Faustrecht das Fürchten lehren wollen: Es ist “interessant” in Deutschland und Europa. So interessant, dass die Demokratieerziehung an deutschen Schulen immer wichtiger wird, damit kommende Generationen nicht den Scharfmachern von links, rechts oder jenen religiöser Minderheiten ins Netz gehen.
Denn viele, wenn nicht alle, der mehr oder weniger gewaltsam agierenden Gruppierungen und Parteien bemühen sich neben Ihren “Hauptgeschäften” zudem um unsere Jugend und versuchen, sie vor allem auf sozialen Netzwerken einzufangen und zu bezirzen. Dabei erreicht die sogenannte “AfD” eine enorme Reichweite. Innerhalb von zwölf Monaten wurde ein durchschnittliches AfD-Video auf TikTok laut Spiegel Netzwelt an die 458.000 Mal aufgerufen, die Videos anderer Parteien deutlich weniger.
Einer der auf TikTok am meisten vertretenen Politiker ist der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl Maximilian Krah, der derzeit bereits Abgeordneter im Europaparlament ist und wegen der Verdachte der Vorteilsannahme im Amt und möglichen Landesverrats von der öffentlichen Bildfläche verschwunden ist (ebenso wie sein Kollege Bystron). Krah tat sich mit fragwürdigen Videos auf der chinesischen Plattform hervor, in denen er jungen Männern einredete, dass eine politisch linke Haltung verweichlicht sei und dass “echte Männer” rechts sein müssten, womit Krah sein Rechts meint, also eine rechtsextreme Haltung, die bereits die politische Mitte als „links” definiert und für politische Gegner nur Hass und Verachtung übrig hat. Da Krah auf seinem Kanal auch gegen Geflüchtete hetzte, hat sogar TikTok seine Reichweite auf der Plattform eingeschränkt.
Doch Krah ist nicht allein in dem Kampf um die Gunst der Jugendlichen. Auch die Vorsitzenden der Partei, Alice Weidel und Tino Chrupalla, generieren reichweitenstarke Videos, die sich an das junge Publikum richten, denn da sitzen die Wähler von morgen und was die anstehende Europawahl angeht, sind es auch schon die Wähler der Gegenwart.
Das muss uns als Demokraten zu denken geben, denn in der Vergangenheit hat sich diese Partei immer wieder mit Neonazis gemein gemacht und ist sogar mit ihnen marschiert. Der nun frisch wegen des Skandierens einer NS-Parole zu einer Geldstrafe von € 13.000 verurteilte Chef der thüringer AfD, Björn Höcke, marschierte zum Beispiel Seite an Seite mit Rechtsextremisten in Chemnitz auf einer Demonstration, an deren Rändern es zur Jagd auf Geflüchtete kam.
Auch der Linksextremismus in Deutschland ist indes nicht eingeschlafen. Und auch diese Form des Extremismus übt eine große Anziehungskraft auf junge Menschen aus. Linksextremisten geht es darum, die bestehende Gesellschaftsordnung im Sinne des Sozialismus und Egalitarismus zu verändern. Das kapitalistische System lehnen sie grundsätzlich ab. Dabei operieren Linksextremisten häufiger im Verborgenen als Rechtsextremisten, generieren unter jungen Menschen aber dennoch eine große Anhängerschaft, da ihre Ziele, anders als jene anderer Extremisten, von Jugendlichen und jungen Erwachsenen häufig als altruistisch und uneigennützig aufgefasst werden. Daher wird der Linksextremismus von Heranwachsenden oft sogar romantisiert.
In der Wahrnehmung der Anhänger des extremen linken Spektrums sind dann auch zur Erreichung linker Ziele ausgeübte Gewalt oder Grenzüberschreitungen entschuldbar, da sie ja vermeintlich nicht der Erlangung und Ausübung von Macht dienen, sondern vielmehr einer als gerecht empfundenen Umverteilung der vorhandenen Ressourcen; Robin Hood lässt grüßen.
Tatsächlich bedeutet Umverteilung nicht nur die Neuordnung von Ressourcen, sondern sie ist auch eine radikale Idee, die das Machtmonopol des demokratisch verfassten Staates infrage stellt und die Machtverhältnisse im Staat von Grund auf ändern will. Um dies zu erreichen, müsste die Macht zunächst usurpiert werden, wie dies in verschiedenen Revolutionen der Geschichte – der französischen und der bolschewistischen (russischen) Revolution beispielsweise – der Fall war. Bei den Beispielen handelt es sich tatsächlich um zwei der blutigsten Umstürze aller Zeiten, die beide einen Unrechtsstaat nach sich zogen. Tatsächlich hat der Kommunismus als Staatsform noch nie in dem Sinne funktioniert, wie es die Linksextremisten sich erträumen. Zwar kam es zu einer Umverteilung von Macht und Ressourcen, aber nur im Sinne des Niedergangs einer Machtelite zugunsten des Aufstiegs der nächsten Machtelite, nicht etwa im Sinne des Egalitarismus.
Und auch die extreme Linke hat eine gewaltbereite Szene. In jüngster Vergangenheit hat es in Brandenburg einen Brandanschlag auf einen Strommasten gegeben, der das dortige Tesla-Werk lahmlegte. Dadurch wurde natürlich nicht nur das Interesse des Musk-Konzerns, sondern im bedeutenden Maße auch das öffentliche Interesse geschädigt.
Auch der Fall Lina E., einer Linksextremistin, die Neonazis ausgespäht und tätlich überfallen hat, zeigt, dass es den radikalsten Kräften der linken Szene auch um den Bruch des Machtmonopols des Staates geht.
Gleichermaßen erschreckend und bedrohlich sind die selbsternannten religiösen Interpreten, die aus einem eifernden und teilweise auch durch den autokratischen türkischen Staat unterstützten extremen Islamismus kommen. Allenthalben findet man im Internet diese Koranerklärer, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung Deutschlands nicht nur infrage stellen, sondern außer Kraft setzen und durch ein „Kalifat”, einen arabischen Gottesstaat, der durch das religiöse Rechtssystem der „Scharia” geprägt ist, ersetzen wollen.
Erst kürzlich fand in Hamburg eine Großdemonstration des durch den Verfassungsschutz als extremistisch eingestuften und beobachteten Netzwerks „Muslim interaktiv” statt. Dort sprach auch ein gewisser Raheem Boateng (bürgerlich Joe Adade Boateng), ein ghanaischstämmiger Salafist – und Lehramtsstudent. Er äußerte sich unzweideutig gegen den deutschen Staat, die Pressefreiheit und für die Errichtung eines Kalifats in Deutschland. Dass er, sollte er jemals tatsächlich an einer deutschen Schule arbeiten dürfen, seine Schüler im Sinne des Grundgesetzes und des Beutelsbacher Konsenses unterrichten würde, darf getrost in Zweifel gezogen werden.
Auch Prediger wie der Berliner Abul Baraa, der sich in der Jugendsprache bestens auskennt und sich bemüht, durch vordergründig spöttisch-witzige Videos seine vorwiegend junge Gefolgschaft im Internet auf Linie zu bringen, strebt das Kalifat an und wird durch den Verfassungsschutz beobachtet. Weitere Aktive dieser Szene sind „Bruder Elias” sowie die deutschen Konvertiten Pierre Vogel und Marcel Krass. Sie alle stellen ihre ureigene Lesart der islamischen Religion über den Rechtsstaat, über das Grundgesetz und über unsere freiheitlich-demokratischen Werte. Gegenwärtig erfahren solche Bewegungen durch den Gaza-Krieg großen Zulauf und nähren ein weiteres in Deutschland immer noch virulentes Sentiment: den Antisemitismus.
Dies scheint auch ein einigendes Element zu sein, denn aus verschiedenen Gründen ist der Antisemitismus ein Bestandteil jeder der hier beschriebenen Extremismen. Die extreme Rechte ist der Neonazi-Szene nah, die Linksextremisten hegen Sympathien für die radikalen Palästinenser in Gaza und stellen ebenso wie die Salafisten das Existenzrecht Israels in Frage. Somit sind alle drei Extremismen mit der deutschen Staatsraison unvereinbar.
In der Summe bleibt festzuhalten, dass die beschriebenen Extremismen alle nicht nur das Element des Antisemitismus, sondern auch das der Gewaltbereitschaft teilen. Es sollte daher selbstverständlich sein, die Gefahren dieser Extremismen auch im Unterricht zu behandeln, um Schüler über die Fallen der Extremisten aufzuklären und sie davor zu bewahren, in deren Fänge zu geraten – um ihrer selbst Willen und zum Schutz unseres Rechtsstaates, denn die Zeiten, in denen wir leben sind bereits „interessant” genug. Wir alle müssen daran arbeiten, sie nicht noch interessanter werden zu lassen.