Was tun gegen den Lehrermangel? Experten hatten vorgeschlagen, die Möglichkeiten für Teilzeitarbeit zu begrenzen, da fast die Hälfte der Lehrkräfte nicht in Vollzeit arbeitet. Bildungsgewerkschaften und Lehrerverbände halten das für kontraproduktiv.
Trotz des grassierenden Lehrkräftemangels in Deutschland raten Verbände und Bildungsgewerkschaften davon ab, Teilzeitmöglichkeiten für Lehrerinnen und Lehrer einzuschränken. Sie befürchten, dass Nachteile besonders für Frauen entstehen und das Gegenteil von dem erreicht wird, was gewollt ist: mehr Menschen für den Lehrerberuf zu gewinnen.
«Eine Politik, die diesen Weg zu gehen versucht, verschlimmert die Lage», sagte die Vorsitzende des Deutschen Philologenverbands, Susanne Lin-Klitzing, den Zeitungen der Mediengruppe Bayern.
Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern, sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Umgekehrt wird ein Schuh draus: Die Arbeitsbedingungen müssen deutlich verbessert werden, um wieder mehr Menschen für den eigentlich wunderbaren Beruf als Lehrkraft zu gewinnen und diejenigen, die jetzt in den Schulen arbeiten, zu zufriedenen Beschäftigten zu machen.» Ähnlich äußerte sich auch der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Gerhard Brand.
Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK), ein Beratergremium der Kultusministerkonferenz, hatte im Januar angesichts des Lehrkräftemangels vorgeschlagen, die Möglichkeiten für Teilzeitarbeit zu begrenzen. «Hier liegt die größte Beschäftigungsreserve», hatte das Gremium in einer Stellungnahme festgestellt und konkret angeregt, eine Reduzierung der Arbeitszeit auf unter 50 Prozent nur «bei Vorliegen eng gefasster Gründe» zu gewähren, zum Beispiel wegen der Betreuung kleiner Kinder. Der Expertenkommission zufolge liegt die Teilzeitquote im Lehramt mit rund 47 Prozent deutlich über der bei Erwerbstätigen insgesamt (29 Prozent). «Familiäre, gesundheitliche und organisatorische» Gründe spielen demnach eine Rolle, etwa wenn Beschäftigte in der Familiengründungsphase sind, aber auch «die Beanspruchung im Unterricht».
VBE-Chef Brand bestätigte das: «Immer mehr Lehrkräfte arbeiten in Teilzeit oder können sich das vorstellen, weil die Belastung bei einer Vollzeitstelle zu hoch ist. Vollzeit arbeiten bedeuten nicht selten 50 Wochenarbeitsstunden, die auf Dauer nicht leistbar sind – zumal ohne Perspektive, dass es wieder anders wird.»
An den allgemeinbildenden Schulen – also ohne die Berufsschulen – war die Teilzeitquote im Schuljahr 2021/2022 auf den höchsten Wert der vergangenen zehn Jahre geklettert: Knapp 41 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer arbeiteten nicht Vollzeit, wie das Statistische Bundesamt Mitte Februar mitgeteilt hatte. Bei Lehrerinnen lag die Quote mit 48,2 Prozent mehr als doppelt so hoch wie bei Lehrern (20,1 Prozent).
Insgesamt unterrichten an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in Deutschland mehr als 800 000 Lehrkräfte. Auf absehbare Zeit kommen nach Prognosen von Wissenschaftlern und der Kultusministerkonferenz aber deutlich weniger ausgebildete Lehrkräfte nach, als angesichts der Entwicklung der Schülerzahlen und der Abgänge von Lehrern in den Ruhestand gebraucht werden. Mehr als 12 000 Stellen sind nach Angaben aus den Ländern bereits jetzt unbesetzt.
Die SWK hatte in ihrem Gutachten die düstere Vorhersage gemacht, dass das Personalproblem «aller Voraussicht nach in den kommenden 20 Jahren bestehen bleiben» werde, und gemahnt: Allen Akteuren im Schulsystem müsse klar sein, dass die Gesellschaft vor einer historischen Herausforderung stehe, die größte Anstrengungen erfordere. Vorgeschlagen hatten die Experten deshalb auch die Prüfung eines höheren Unterrichtspensums für Lehrkräfte und gegebenenfalls größere Klassen und Hybrid-Unterricht in oberen Gymnasialklassen. Die Gewerkschaften hatten die Vorschläge umgehend kritisiert.
Berlin (dpa)