Rheinland-Pfälzische Schule

50 Jahre Integrierte Gesamtschule Rheinland-Pfalz

Der Verband Bildung und Erziehung würdigt in dieser und den nachfolgenden Ausgaben der Mitgliederzeitschrift „Rheinland-pfälzische Schule“ das 50-jährige Bestehen dieser Schulart. Zunächst ein Blick zurück – im Jahr 1974 wurde die erste Integrierte Gesamtschule in Rheinland-Pfalz, die „Bertha von Suttner“ in Kaiserslautern, gegründet. Dort unterrichtete seit dem Schuljahr 1975/76 die VBE-Kollegin Christine Jung (77) für mehrere Jahre. Sie erlebte die Anfangsjahre der beeindruckenden Modellschule hautnah mit und berichtet im Interview retrospektiv über die pädagogische Aufbruchstimmung in der „Bertha“ sowie über persönliche Erinnerungen und Erlebnisse, die sie in dieser neuen Schulart sammelte. Bedeutsam ist, wie die überwiegend positiven Erfahrungen ihr späteres berufliches Leben, vor allem ihr Leitungshandeln in der Funktion der Rektorin, nachhaltig beeinflussten.

„Der Mensch im Fokus“ Interview mit Christine Jung

 

Welche Ideen stiftete die neue Pädagogik für Sie als junge Lehrerin?

Besonders prägend war und ist für mich die tagtäglich gelebte anerkennende Pädagogik, die jedes Kind, jeden Jugendlichen in seiner Einzigartigkeit akzeptiert, seine individuellen Anlagen entfaltet und stärkt. Diese neue Pädagogik war durchweg getragen von einem sozialen Miteinander, von gegenseitiger Achtung und Wertschätzung. Dreh- und Angelpunkt jedweder pädagogisch-didaktischen Handlung war die Zuwendung zu jedem Individuum mit all seinen Charaktereigenheiten. Diese Menschenorientierung war gänzlich umfassend zu verstehen. Sie galt sowohl für die pädagogische Arbeit mit den Heranwachsenden wie auch für den respektvollen Umgang mit deren Eltern, die für uns enge Kooperationspartner waren. Gepflegt wurde ferner – was zunächst noch befremdlich war – die Anerkennung der verschiedenen Professionen der Kolleginnen und Kollegen untereinander. Diese Sichtweisen waren für mich neu und zugleich inspirierend. Rückblickend denke ich, dass vor allem die konsequent gelebte anerkennende Pädagogik, für alle am Schulleben beteiligten Personen – Bibliothekare, Medientechniker, Bademeister … – eingeschlossen, maßgeblich zum positiven Schulklima beigetragen sowie optimale Voraussetzungen für einen persönlichkeitsentfaltenden Lern- und Bildungsort geschaffen hat.

 

Gibt es ein Erlebnis, das Sie in lebhafter Erinnerung haben?

Ja, das habe ich tatsächlich. In unserer Freizeit (!) wanderten wir gemeinsam mit den jungen Menschen aus meiner damaligen Klasse und deren Eltern durch die wunderschöne Vogesenregion hinauf zum Gipfel des „Petit Ballon“. Dieser erlebnisreiche Ausflug, der von äußerst engagierten Eltern sowie Mitgliedern der ortsansässigen Vereine geplant und durchgeführt wurde, förderte und stärkte den Gemeinsinn nachhaltig. Beliebt waren auch die wertvollen Fortbildungen von Eltern für Eltern! Ganz gleich, ob es um Fragen der Richtigschreibung oder um erzieherisches Wirken ging, stets fanden sich kompetente Ansprechpartner, die in ihrer Freizeit ihr Wissen und ihre Erfahrungen teilten. Bereitwillig boten sie im schulischen Alltag auch verschiedene Aktivitäten wie Mal- und Bastelkurse, Sport- und Spielangebote … für Kinder und Jugendliche an.

 

Welcher IGS-Gedanke spiegelte sich schließlich in Ihrer Rolle als Schulleiterin wider?

Mein Leitungshandeln war stets am Mitmenschen orientiert. Wichtig war mir, gute Beziehungen zu Kindern, Jugendlichen und deren Eltern sowie zu den Kolleginnen und Kollegen aufzubauen und zu pflegen. Im Laufe meiner Schulleitertätigkeit habe ich gelernt, dass Schule niemals statisch ist, sondern einem beständigen Wandel unterliegt. Dafür habe ich einen Blick entwickeln müssen, der vor allem die Belange, Wünsche und Hoffnungen aller miteinbezieht. Insofern lagen mir in puncto Schulentwicklung die Visionen der Schulgemeinschaft und die damit verbundenen partizipativen Prozesse besonders am Herzen.

 

Was wünschen Sie Lehrerinnen und Lehrern, die derzeit an einer IGS unterrichten?

Ich wünsche mir,

  • … dass die Kolleginnen und Kollegen sich aktiv ihren Mitmenschen zuwenden und sie in ihrer Einzigartigkeit annehmen,
  • … dass sie trotz der hohen Arbeitsbelastungen nicht müde werden, neugierig zu bleiben, und sich mutig und begeisterungsfähig neuen Herausforderungen und Entwicklungen in Schulen stellen.
  • … dass sie sich nicht scheuen, ggf. Hilfe in Anspruch zu nehmen und sich gewerkschaftlich zu engagieren – wie ich beim VBE!

Das Gespräch führte Christine Herbst, VBE-Mitglied

im Hauptpersonalrat Integrierte Geamtschule.