Rheinland-Pfälzische Schule

Windei, Nebelkerze oder Erlass? Wie Post aus dem Bildungsministerium Konfusion stiftete und dabei nichts regelte

Die rheinland-pfälzische Schulgemeinde war noch nicht einmal halb im neuen Schuljahr angekommen, da flatterte schon das erste freundlich formulierte Schreiben des neuen Staatsministers für Bildung, Sven Teuber, in die noch abgestandene Luft der Schulleiterbüros des Landes. Lediglich eine halbe Stunde zuvor waren die Hauptpersonalräte durch das Bildungsministerium höflich informiert worden, dass die Schulen Post bekommen würden.

 

Das wäre an und für sich nicht weiter tragisch, wenn es sich nur um einen netten Morgengruß und schicke Wünsche für das beginnende Schuljahr gehandelt hätte. Ja, der Gruß und die Wünsche kamen auch mit (besten Dank dafür und liebe Grüße zurück), aber auch die leider nicht weiter differenzierte, dafür aber nebulös formulierte Anweisung, unangekündigte Leistungsüberprüfungen (in der schriftlichen Kurzform, landläufig als Hausaufgabenüberprüfungen oder HÜs bezeichnet) sollten künftig unterbleiben.

 

Das Schreiben, das, ein wenig jovial vielleicht, bestenfalls wie ein persönlicher Erfahrungsbericht, eher aber noch wie eine Urlaubsplauderei beginnt, erwähnt dann auf eine mehr oder weniger beiläufige Weise die “Empfehlungen für eine veränderte Lern- und Prüfungskultur der Bertelsmann Stiftung, an der die Schulpraxis, das Pädagogische Landesinstitut und das Bildungsministerium aus Rheinland-Pfalz maßgeblich mitgearbeitet” hätten, und kommt zu dem Schluss, dass “die so genannten „Hausaufgabenüberprüfungen“ [ab diesem Schuljahr] immer jeweils bereits bei der Erteilung der Hausaufgaben angekündigt werden [sollen].” In anderen Worten: Unangekündigte Tests oder Hausaufgabenüberprüfungen soll es nicht mehr geben.

 

Die Schulleiterinnen und Schulleiter wurden gebeten, diese Information an ihre Kollegien zu transportieren, und Herr Teuber verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass auch die “Kolleginnen und Kollegen, die bisher auch auf unangekündigte Tests setzten, […] den Weg einer motivierenden Leistungs- und Prüfungskultur bei gleichzeitig weniger Druck positiv und offen mitgehen.”

 

In vielen Kollegien landauf und landab hielt eine gewisse Konfusion Einzug: Sollte diesem Schreiben nun der Charakter einer rechtsgültigen Weisung zugemessen werden? Schließlich wies der Minister darauf hin, dass die maßgeblichen Schulordnungen die Notwendigkeit einer Ankündigung von Leistungsüberprüfungen unterhalb der Schwelle der Klassenarbeiten nicht regelten. Des weiteren hörte sich die Formulierung “hoffe ich” nicht gerade nach einer Regelung oder Weisung an. Der Minister hatte in diesem Schreiben also eigentlich nichts konkret angewiesen. Dementsprechend vielfältig fielen die Auslegungen in den Schulen aus – von denen, die die ministerielle Hoffnung empört zurückwiesen, über die, die Hintertürchen für Ausnahmeregelungen sahen, sowie jene, die eine Faust in der Tasche ballten, sich aber nicht gegen eine von ihnen so empfundene Weisung aus dem  Bildungsministerium stellen wollten, bis hin zu denen, die den Schritt des Ministers begrüßten, während sie sich allerdings fragten, weshalb Herr Teuber etwas regeln wollte, das von vielen Lehrkräften ohnehin schon seit langem genau so gehandhabt wird.

 

Erklärungsversuche: Wozu das Ganze? Gab es einen Regelungsbedarf?

Ja, warum in der Tat? Gerade in den Realschulen plus sind wohl die meisten Kolleginnen und Kollegen schon lange dazu übergegangen, Hausaufgabenüberprüfungen nur nach Ankündigung zu schreiben – und das hat ganz pragmatische Gründe, denn unangekündigte Leistungsüberprüfungen fielen meistens so schlecht aus, dass sich nur feststellen ließ, dass die intrinsische Motivation der Schüler, anlasslos zu büffeln, eher unvorhanden war. Selbst bei angekündigten Leistungsüberprüfungen sieht es aber häufig desolat aus. In Klassen des Bildungsgangs Berufsreife fallen jegliche Leistungsüberprüfungen regelmäßig dermaßen miserabel aus, dass viele Kollegen dazu übergegangen sind, Klassenarbeiten und sonstige Überprüfungen nicht nur anzukündigen, davor nicht nur aufgabentypisch zu üben, sondern Schüler die identischen Inhalte der Klassenarbeit oder des anstehenden Tests bereits vorher bearbeiten zu lassen – in der vagen Hoffnung, da möge etwas hängenbleiben. Und selbst das liefert manchmal nicht die gewünschten Ergebnisse. Nicht etwa, weil es den Schülern an Intelligenz mangelt oder die Lehrkräfte sie unzureichend vorbereitet hätten. Nicht etwa, weil man ihnen nicht eindringlich klar gemacht hätte, welche Tragweite die jeweilige Note hat. Nein, schlicht und ergreifend, weil die Schüler häufig ihre Prioritäten falsch setzen, über kein funktionierendes Zeitmanagement verfügen und nicht in der Lage sind, sich ausreichend lang zu konzentrieren.

 

Erschwerend kommt hinzu, dass viele Schüler schon in der Elementarbildung zu kurz gekommen sind und dann fundamentale Kompetenzen nicht mit in die Grundschule bringen. Die Defizitspirale setzt sich von dort an fort, denn eine wachsende Zahl von Elternhäusern sind aufgrund eigener Herausforderungen und fehlender akademischer Kompetenzen sowie sozio-ökonomischer Zwänge und schierer Erschöpfung nicht in der Lage, ihre Kinder in deren Lernen adäquat zu unterstützen. Zudem geht durch manche Schichten auch die Mähr, dass für die Erziehung und Bildung der Kinder allein die Schule und die dort arbeitenden Lehrkräfte zuständig seien. Lehrkräften wird zuweilen vorgeworfen, solchen Ansprüchen nicht gerecht zu werden, was an dieser Stelle jedoch nicht weiter thematisiert werden soll.

 

Folglich fehlt Kindern dann das Vertrauen in ihre Lehrer, sie verlieren die Orientierung, wissen gar nicht, wozu sie eigentlich in der Schule sind, sehen keinen Sinn in dem zu erlernenden Stoff, keine Relevanz für ihr eigenes Leben. Es wundert wenig, dass dann die intrinsische Motivation fehlt. Schuld daran sind jedoch nicht etwa die Lehrkräfte, sondern das etwas verstaubte Schulsystem, dem keine Methodenvielfalt oder Weiterentwicklung der Welt mehr helfen kann. Es fehlt vielmehr ein grundsätzliches und mutiges Umdenken.

 

Letztlich gibt es gleichzeitig bei weitem zu viele andere Zerstreuungsmöglichkeiten. Zu Hause – oder sogar schon auf dem Weg von der Schule dorthin – warten Handy, Spielekonsolen, Fernsehen und Co. schon auf die Kinder – je mehr diese Geräte in der früheren Kindheit schon als Babysitterersatz herhielten, desto öfter. In der Folge wird gechattet statt Hausaufgaben zu machen und gezockt statt nachts zu schlafen.

 

Dabei geht der Blick für das Wesentliche und auch das Interesse daran, gute schulische Leistungen zu erbringen, gelinde gesagt, flöten. Viele Kinder und Jugendliche scheint es überhaupt nicht mehr zu stören, wenn mangelhafte und ungenügende Zensuren ins Haus stehen. Herrn Teubers These, Schüler seien angesichts unangekündigter Überprüfungen in ihren Leistungen gehemmt, mag auf einen Teil der Schülerschaft – zuvorderst auf solche Schüler, denen nicht alles zufliegt, die aber dank eines soliden familiären Hintergrundes ihre Prioritäten richtig gesetzt haben – zutreffen. Einen großen und stetig wachsenden Anteil der Schüler interessiert dies mangels Orientierung jedoch nicht, weswegen es mehr oder minder einerlei ist, ob Tests nun angekündigt werden oder nicht.

 

Selbstredend kann Minister Teuber auf Erkenntnisse der Bildungswissenschaft verweisen, die seine These stützen. Aber ergibt sich dann hieraus auch der Regelungsbedarf, den der Staatsminister in dieser Angelegenheit gesehen haben muss? Wohl eher nicht, denn wenn eine Vielzahl der Schüler den Wert und die Tragweite von Zensuren ohnehin nicht (an)erkennt und die meisten Kolleginnen und Kollegen ohnehin längst keine unangekündigten Tests mehr schreiben, selbst an Gymnasien nicht, worin besteht dann der Regelungsbedarf? Die Antwort ist, schlicht und ergreifend, dass es keinen gibt.

 

Aber Gründe gab es doch vermutlich?

Weshalb aber dann am ersten Schultag plötzlich und unerwartet diese Sau durchs Dorf treiben? Nun ja, böse Zungen behaupten, Herr Teuber habe nicht den allerhöchsten Bekanntheitsgrad im Lande, da mag es angesichts der am 18. März nächsten Jahres anstehenden Landtagswahl doch opportun sein, ein paar Schlagzeilen zu generieren, die vor allem der großen Wählergruppe der Eltern gefallen dürften. Auch ist der Tag des Schulbeginns, den Herr Teuber gewählt hat, um seine Ankündigung – gewissermaßen überfallartig – an die Schulen zu bringen, auch ein Tag, an dem die Presse traditionell unangenehme Fragen zum Zustand des Bildungssystems stellt, zum Beispiel die Gretchenfrage nach der Personalisierung der Schulen. Dieser potentiell schlechten Presse hat Teuber vorgegriffen und sie in einer Regelung ohne Bedarf versinken lassen. Medial geschickt, jedoch ohne jede wirkliche Wirkung, ohne jeden Benefiz für die Schülerschaft, denn alles bleibt, wie es ohnehin schon war, außer vielleicht an Gymnasien oder Berufsschulen.

 

Verstimmung bei den Empfängern

Ärgerlich ist allerdings die Übergehung der Hauptpersonalräte, die, zumindest teilweise, eine Beschneidung ihrer Mitbestimmungsrechte darin sehen. Alle wissen allerdings zu einhundert Prozent, dass vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium und den Personalräten anders aussieht. Ärgerlich ist auch die erdenklich ungeschickte und viele Kollegien verwirrende Kommunikation. Eine Hoffnung ist keine Weisung, und so sahen sich viele Kollegen nicht an den Wunsch des Ministers gebunden. Was sollte man darin erkennen? Für die meisten klang es eben nach Gefechtsfeldprosa, nicht mehr.

 

Und so sah sich das Ministerium, das dieses Schreiben als Erlass des Ministers verstanden wissen wollte, gezwungen, am 05. September, also beinahe drei Wochen nach Ankommen des Schreibens in den Schulen, den “Erlass” durch eine “FAQ-Liste” nachzuschärfen, die das Schreiben quasi zum rechtsgültigen Erlass erhebt. Ob das Manöver des Herrn Minister bei Wählerinnen und Wählern nun verfangen wird oder nicht, die Anzahl an neuen Freunden, die Herr Teuber landesweit in Kollegien gefunden hat, dürfte überschaubar sein, denn viele Lehrkräfte goutieren es  nicht, dass ihnen ein Druckmittel, das sie allenfalls sehr dosiert angewendet haben, per Federstrich genommen wird. Am Schuljahresbeginn ist in den Schulen auch so schon genug los, da brauchte man diese ungebetene Störung nicht unbedingt.

 

Ob das Handeln des Ministers überhaupt rechtens war, wurde ebenfalls vielfach hinterfragt. Mehr darüber  können Sie in der Rubrik MundgeRecht lesen. Nur so viel vorab: Sich dagegen zu stellen wird die Mühe wohl nicht wert sein, schon wegen des unvorhandenen Regelungsbedarfs.

 

fh