Rheinland-Pfälzische Schule

Elf Minuten Konzentration Wie Konzentration trainiert werden kann.

Ständige digitale Reizüberflutung und die Erwartung permanenter Erreichbarkeit prägen unseren Alltag. Die Fähigkeit zur Konzentration wird dabei zu einer kostbaren Ressource. Gerade im Lehrerberuf, der höchste Aufmerksamkeit, Empathie und die Fähigkeit zur Wissensvermittlung erfordert, ist mangelnde Konzentration eine immense Herausforderung. Viele kennen das Gefühl: Müdigkeit, eine Flut von E-Mails, kreisende Gedanken – all das erschwert es, sich auf eine einzige Aufgabe zu fokussieren.

 

Doch was bedeutet dieser Verlust an Konzentrationsfähigkeit für unseren Berufs- und Privatalltag? Dr. Volker Kitz, promovierter Jurist und Bestsellerautor, fasst die fundamentale Bedeutung dieses Phänomens prägnant zusammen: „Ohne Konzentration ist alles nichts.“ Konzentration, so Kitz, befähigt uns nicht nur, zu lernen und effizient zu arbeiten, sondern auch zu empfinden, zu lieben und einander zu verstehen. Sie weist den Weg in unser Innerstes und ist die Grundvoraussetzung für Empathie und ein harmonisches Zusammenleben. Für Lehrende bedeutet dies: Ohne Konzentration leidet nicht nur die Unterrichtsqualität, sondern auch die Fähigkeit, eine echte Verbindung zu den Schülerinnen und Schülern aufzubauen und ihre individuellen Bedürfnisse wahrzunehmen.

 

Die Illusion der unendlichen Aufmerksamkeitsspanne

Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die Dr. Kitz in seinem Buch „Konzentration: Warum sie so wertvoll ist und wie wir sie bewahren“ teilt, ist die realistische Betrachtung unserer Aufmerksamkeitsspanne. Studien zeigen, dass sich Menschen bei Büroarbeit im Durchschnitt lediglich elf Minuten am Stück auf eine Sache konzentrieren können, bevor eine Ablenkung eintritt. Nach einer solchen Unterbrechung dauert es im Schnitt 23 Minuten, um wieder vollständig in die ursprüngliche Aufgabe zurückzufinden. Kitz schlussfolgert daraus: „Konzentration ist wirklich nur in kleinen Paketen möglich.“

 

Diese Erkenntnis stellt die oft unrealistische Erwartung in Frage, stundenlang hochkonzentriert arbeiten zu können. Stattdessen sollten wir unsere Arbeitsweise an die biologischen Gegebenheiten unseres Gehirns anpassen. Für Lehrerinnen und Lehrer bedeutet das, den Unterricht und die Vorbereitung in kleinere, fokussierte Einheiten zu unterteilen und bewusste Pausen einzuplanen, um die Konzentration zu regenerieren. Fokussierte Ablenkung: Ein Paradoxon, das funktioniert.

 

Ein weiteres Schlüsselkonzept von Kitz ist das Prinzip der „fokussierten Ablenkung“ als Strategie gegen sogenannte „ironische Prozesse“. Kitz erklärt, dass je stärker man versucht, einen bestimmten Gedanken zu unterdrücken – beispielsweise den Drang, das Smartphone zu überprüfen –, desto intensiver dieser Gedanke wird. Dies ist ein „ironischer Prozess“. Der Ausweg, den Kitz vorschlägt, ist die „fokussierte Ablenkung“: Man wählt bewusst ein anderes Bild oder einen anderen Gedanken aus, auf den man sich sofort konzentriert, sobald der unerwünschte Gedanke aufkommt. Statt passiv gegen Ablenkungen anzukämpfen, lenkt man die Aufmerksamkeit aktiv um. Ein praktisches Beispiel wäre, sich ein rotes Auto vorzustellen, sobald der Impuls entsteht, das Smartphone in die Hand zu nehmen.

 

Praktische Wege zur Konzentrationsförderung im Alltag und Beruf

Dr. Volker Kitz bietet eine Vielzahl praktischer Empfehlungen an, die sich nahtlos in den Lehreralltag und das Privatleben integrieren lassen:

1. Die Macht der Selbstbeobachtung: Der wichtigste erste Schritt ist die Selbstbeobachtung. Kitz rät, den eigenen Gedanken nachzugehen und zu beobachten, wie sie wandern. Eine grundlegende Übung ist die Konzentration auf den eigenen Atem: Einatmen, Ausatmen, Einatmen. Kitz betont, wie schwierig es sein kann, dies auch nur für zehn Sekunden ohne abschweifende Gedanken zu bewerkstelligen. Doch genau hier liegt der Schlüssel: „Wir können zwar die Gedanken nicht kontrollieren, aber wir können lernen, uns nicht davon tragen zu lassen.“

 

2. Physiologische Grundlagen: Unser Körper ist die Basis unserer Konzentrationsfähigkeit.

  • Schlaf: Sieben bis acht Stunden Schlaf sind optimal. Zu wenig Schlaf schadet der Konzentration, zu viel macht träge. Studien zeigen, dass 17 bis 19 Stunden Wachheit ähnliche Auswirkungen haben können wie ein Blutalkoholspiegel von 0,5 Promille.
  • Ernährung: Omega-3-Fettsäuren (Lachs, Walnüsse, Olivenöl) und Flavonoide (grüner Tee, Blaubeeren) sind förderlich. Zucker schadet der Konzentration nach 30 bis 60 Minuten, aber der „Gurgel-Effekt“ – das bloße Ausspülen des Mundes mit zuckerhaltigen Getränken – kann kurzfristig helfen.
  • Hydration: Ausreichende Flüssigkeitszufuhr ist entscheidend. Kitz nennt die Urinfarbe als wissenschaftlich anerkanntes Kriterium: Champagnerfarbener Urin deutet auf optimale Hydration hin.

 

3. Sensorische Wahrnehmung gezielt nutzen:

  • Augen: Eine effektive Übung ist eine Abwandlung des Spiels „Ich sehe was, was du nicht siehst“, nämlich „Ich sehe was, was ich nicht sah“. Dabei versucht man, die Umgebung bewusst wahrzunehmen und dabei einen Gegenstand zu entdecken, der einem bisher nie aufgefallen ist. Das trainiert die Wahrnehmung und Konzentration erheblich.
  • Ohren: Geräusche mit Sprachanteil stören die Konzentration am meisten. Die optimale Geräuschkulisse ist individuell; während Kitz Stille bevorzugt, können andere sich bei Musik besser konzentrieren, wenn sie diese mögen und sie einen positiven Erregungszustand im Gehirn erzeugt.
  • Gerüche: Düfte wie Pfefferminz oder Jasmin können die Konzentration fördern. Man kann sich auch einen eigenen „Konzentrationsduft“ konditionieren, indem man einen Lieblingsduft immer dann riecht, wenn man sich konzentriert.

 

4. Körperliche Aspekte: Leichte, unauffällige Bewegungen wie Knie wippen, Beine bewegen oder Kritzeln auf einem Notizblock können die Konzentration verbessern. Für konzentriertes Nachdenken empfiehlt Kitz das Stehen gegenüber dem Sitzen. Eine ungewöhnliche, aber effektive Übung ist das Jonglieren, selbst mit Sockenknäueln.

 

5. Umgang mit digitalen Ablenkungen und Prokrastination:

  • Smartphones: Smartphones sind ein permanenter Störfaktor, selbst wenn sie ausgeschaltet auf dem Tisch liegen oder in der Tasche sind. Ihre bloße Anwesenheit erfordert kognitive Ressourcen, um sie auszublenden. Kitz betont, dass die räumliche Trennung des Smartphones entscheidend ist. Der „Nicht stören“-Modus kann helfen, erreichbar zu bleiben, ohne ständig abgelenkt zu werden. Die „Fear of Missing Out“ (FOMO) ist ein großes Problem, das durch mangelnde Griffbereitschaft des Handys sogar verstärkt werden kann.
  • Prokrastination: Gegen das Aufschieben von Aufgaben empfiehlt Kitz die „Arbeitszeitrestriktion“. Man „verbietet“ sich die aufgeschobene Tätigkeit bis auf ein kurzes, festes Zeitfenster, etwa eine halbe Stunde am Tag. Das wird dann plötzlich so wertvoll, dass man die Sache tatsächlich angeht.

 

6. Den „Flow“-Zustand erreichen: Der „Flow“-Zustand, ist ein Zustand völliger Vertiefung in eine Aufgabe, in dem die Zeit vergessen wird. Kitz erklärt, dass Flow bei Herausforderungen entsteht, die realistisch zu meistern sind und ein ständiges Feedback ermöglichen.

 

Die persönliche Reise: Ein Schweigeseminar im Himalaya

Dr. Volker Kitz hat für sein Buch und seine Theorien Recherche und Selbstversuch miteinander verbunden. Ein prägendes Element war ein tagelanges Schweigeseminar im Himalaya. Dort widmete er sich der grundlegenden Meditationsübung der Atemkonzentration. Er beschreibt die anfängliche Schwierigkeit und Frustration, diese Konzentration auch nur für zehn Sekunden ohne abschweifende Gedanken aufrechtzuerhalten. Am vierten Tag erlebte er jedoch einen entscheidenden Durchbruch: Er spürte ein richtiges Herzklopfen, als er bemerkte, dass es ihm tatsächlich gelungen war, sich auf seinen Atem zu konzentrieren. Diese Erfahrung, die er als „aufregend“ beschreibt, war ein Wendepunkt und lieferte ihm tiefgreifende Erkenntnisse. Diese persönliche, tiefgreifende Erfahrung untermauert die Wirksamkeit seiner praktischen Ratschläge und verleiht ihnen eine besondere Authentizität.

 

Konzentration als Lebenskunst

Dr. Volker Kitz’ Botschaft ist ermutigend: Konzentration ist keine unerreichbare Superkraft, sondern eine trainierbare Fähigkeit, die in kleinen, bewussten Schritten verbessert werden kann. Für Lehrkräfte und jeden, der im Berufs- und Privatleben bestehen möchte, ist die Bewahrung der Konzentration eine essenzielle Lebenskunst. Sie ermöglicht nicht nur höhere Produktivität, sondern auch tiefere menschliche Erfahrungen, mehr Empathie und ein erfüllteres Leben.

 

Lesetipps

  • Kitz, Volker: Konzentration: Warum sie so wertvoll ist und wie wir sie bewahren. Kiepenheuer & Witsch, 2021. Dieses Buch ist das Kernwerk von Dr. Volker Kitz zum Thema Konzentration. Es bietet eine umfassende Reise durch die Biologie, Psychologie, Philosophie und Kulturgeschichte der Konzentration und liefert zahlreiche praktische Übungen und Denkanstöße, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und Kitz‘ persönlichen Erfahrungen basieren.
  • Kitz, Volker: Feierabend!: Warum man für seinen Job nicht brennen muss. Streitschrift für mehr Gelassenheit und Ehrlichkeit im Arbeitsleben. Heyne Verlag, 2017. Obwohl nicht direkt auf Konzentration fokussiert, ergänzt dieses Buch Kitz‘ Ansätze. Es thematisiert die Notwendigkeit von Gelassenheit und Ehrlichkeit im Arbeitsleben und plädiert für eine gesunde Work-Life-Balance.

 

Maike Jänsch

 

Tipps zur Verbesserung der Konzentration im Unterricht

 

1. Gestalte ein optimales Lernumfeld

  • Reduziere Lärmquellen und sorge für eine angenehme Akustik.
  • Verwende bequeme und anpassbare Möbel, die die richtige Körperhaltung fördern.
  • Gestalte den Raum ansprechend mit kreativen Lernmaterialien und einer übersichtlichen Anordnung von Tischen und Stühlen.

2. Setze auf abwechslungsreiche Lehrmethoden

  • Nutze Gruppenarbeit, Diskussionen, Projekte und digitale Tools, um Schüler aktiv in den Lernprozess einzubeziehen.
  • Integriere verschiedene Sinne (Sehen, Hören, Fühlen) in den Unterricht.

3. Implementiere kurze Pausen

  • Plane regelmäßige, kurze Pausen ein, in denen Schüler und Lehrkräfte sich bewegen oder entspannen können.
  • Nutze bewegungsorientierte Pausen (z. B. Stretching, kurze Spiele) zur Förderung der Durchblutung und der Konzentration.

4. Fördere Achtsamkeit und Stressbewältigung

  • Führe regelmäßig kurze Achtsamkeitsübungen oder Meditationstechniken ein, die helfen, sich zu entspannen und Gedanken zu fokussieren.
  • Sei ansprechbar und ermögliche Schüler:innen, über ihre Sorgen oder Stressfaktoren zu sprechen.

5. Setze klare Lernziele und Erwartungen

  • Kommuniziere klare, erreichbare Lernziele für jede Unterrichtsstunde, um einen Sinn und einen Fokus zu geben.
  • Gib regelmäßiges, konstruktives Feedback und ermutige zur Reflexion über den eigenen Lernprozess.

6. Berücksichtige individuelle Lernstile

  • Berücksichtige unterschiedliche Lernstile (visuell, auditiv, kinästhetisch).
  • Biete verschiedene Schwierigkeitsgrade und Formen von Aufgaben an, um das individuelle Interesse und die Motivation zu steigern.

7. Förderung der sozialen Interaktion

  • Fördere den Austausch und die Zusammenarbeit. Sozialer Kontakt kann die Motivation und Konzentration erhöhen.
  • Schaffe eine supportive Classroom-Kultur, in der Schüler sich sicher genug fühlen, Gedanken zu teilen und aktiv mitzuarbeiten.

 

Nina Braun