Aufsichtslücke bei vorhandener Gefahrenquelle
Eine Lehrkraft weist Schüler einer 9. Klasse der Qualifizierten Sekundarstufe I während eines Sportangebots der Ganztagsschule (GTS) genau an, wie ein bestimmter Übungsparcours zu durchlaufen ist. Der Aufbau des Parcours wird erklärt und bestimmten Schülern werden einzelne Aufbauarbeiten übertragen. Als die SuS mit dem Aufbau beginnen, verlässt die Aufsicht führende Lehrkraft vorübergehend die Turnhalle, um ein vergessenes Utensil aus dem Lehrerzimmer zu holen. Die SuS werden angewiesen, sich nach dem Aufbau auf die Bänke zu setzen und auf die Rückkehr der Lehrkraft zu warten.
Zwei Schüler setzen sich jedoch nicht, sondern beklettern den Parcours unsachgemäß und weisungswidrig. Einer von ihnen verliert das Gleichgewicht, fällt von einem Bock und landet unglücklich auf dem rechten Fuß, wobei dieser abknickt und der Schüler sich einen Außenbandabriss sowie einen Anriss der Syndesmose zuzieht.
Der Schüler verbringt eine Nacht im Krankenhaus, seine Eltern sind außer sich und beschuldigen die Lehrkraft, ihre Aufsichtspflicht verletzt zu haben. Dies geben sie so in ihrem Unfallbericht an. Die Unfallkasse Rheinland-Pfalz, die nun eintritt, fordert im Nachgang im Wege des Regresses gemäß § 110 Absatz 1 SGB VII von der Lehrkraft Schadensersatz.
Ist die Lehrkraft in diesem Fall ersatzpflichtig? Ersatzpflichtig ist die Lehrkraft nur, wenn ein Körperschaden als Folge vorsätzlich falschen oder grob fahrlässigen Handelns der Lehrkraft eingetreten ist. Im vorliegenden Fall hat die Lehrkraft den Parcours bezüglich seines Aufbaus und der Durchführung genau erklärt. Einzelne Aufbauaufgaben wurden spezifischen Schülern zugeteilt, wobei die Lehrkraft berücksichtigt hat, dass die Schüler gemäß ihrer Statur und Körperkraft beauftragt werden, um Unfälle zu vermeiden. Es ist vorauszusetzen, dass die Anweisungen der Lehrkraft fach- und sachgerecht waren und somit die Wahrscheinlichkeit, dass Schüler sich verletzen, auf ein zu vernachlässigendes Minimum reduziert wurde. Zudem wurden die Schüler angewiesen, sich nach dem Aufbau zu setzen und auf den Lehrer zu warten.
Die Verletzung des betroffenen Schülers resultiert dann auch nicht etwa aus dem Aufbau oder der angewiesenen Übung, zu der die Lehrkraft präsent gewesen wäre, sondern aus einem bewussten und unsachgemäßen Fehlverhalten des Schülers, der sich in seinem Handeln gegen eine direkte und klare Anweisung der Lehrkraft verhalten hat. Das Alter des Schülers (min. 14 Jahre gem. Klassenstufe) befähigt ihn darüber hinaus zu ausreichender Weitsicht, sodass er sich der Risiken seines Tuns bewusst gewesen sein muss.
Dennoch ist der Fall nicht völlig unproblematisch, denn in der Tat entstand durch die (wenn auch kurze) Abwesenheit der Lehrkraft eine Aufsichtslücke, die zwar überschaubar war und während deren die Schüler klare Handlungsanweisungen hatten. Auch wenn das fortgeschrittene Alter der Schüler zu einer ausgeprägteren Einsichtsfähigkeit beitragen kann, die Anlass zu der Annahme gibt, dass ein Unfallrisiko im Normalfall sehr gering ist, so war der Unfall nicht gänzlich unvorhersehbar, da immer mit einem verbotswidrigen Verhalten eines Schülers gerechnet werden muss. Dieses führte dann zu dem Unfallereignis.
Aus den genannten Gründen ist es daher zwar unwahrscheinlich, dass die Lehrkraft hier zum Regress herangezogen werden kann, da ihr zuerst im Verfahrenswege ein grob fahrlässiges oder gar vorsätzliches Fehlverhalten nachgewiesen werden müsste. Dennoch könnte ein Gericht hier auch anders befinden. Maßgeblich wäre, wie schwer das Gericht die Aufsichtspflichtverletzung der Lehrkraft gewichten würde.
Schlussendlich ist es daher selbstredend immer empfehlenswert, Lücken in der Aufsichtsführung tunlichst zu vermeiden. Zum Beispiel hätte die Lehrkraft auch einen vertrauenswürdigen Schüler zum Lehrerzimmer schicken können, um dort vergessenes Material zu besorgen.
Schulküche als Unterrichtsraum einer 1. Klasse
Eine Grundschullehrerin steht vor der Herausforderung, im kommenden Schuljahr eine 1. Klasse unter äußerst ungeeigneten Bedingungen in der Schulküche unterrichten zu müssen. Die Schule beherbergt insgesamt zwei erste Klassen, doch für eine der Klassen ist kein regulärer Raum verfügbar. Die Lehrerin hat sich bereits an die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) sowie an den Bürgermeister der Verbandsgemeinde gewandt, aber bislang konnte weder ein Container noch eine alternative Lösung bereitgestellt werden. Die Schulküche, in der der Unterricht stattfinden soll, ist nicht kindersicher. Sie enthält einen Backofen, einen Herd sowie Messer und andere scharfe Küchenwerkzeuge, die in Schubladen aufbewahrt werden. Außerdem wird täglich zwischen 10.00 und 11.00 Uhr das Mittagsessen von einem Cateringunternehmen geliefert.
Die räumlichen Bedingungen sind ebenfalls äußerst problematisch: Es gibt keine Ablagemöglichkeiten für Schulmaterialien, und einige Kinder, die in der Schule zu Mittag essen, nutzen die Tische der Erstklässler. Zudem fehlen grundlegende Unterrichtsmaterialien wie eine Tafel, und der Raum bietet weder genügend Platz für Stations- oder Gruppenarbeiten noch für einen Sitzkreis, der in der Arbeit mit Schulanfängern eine zentrale Rolle spielt. Nun stellt sie sich die Frage, ob eine solche Unterbringung rechtlich zulässig und im Jahr 2024 überhaupt noch zumutbar ist. Aus pädagogischer und rechtlicher Sicht gibt es erhebliche Bedenken:
Kindersicherheit
Die Küche enthält potenziell gefährliche Utensilien wie Messer, die eine Gefahr für die Kinder darstellen. Die geltenden Sicherheitsvorschriften für Schulen verlangen eine kindersichere Umgebung, was in diesem Fall nicht gewährleistet ist. Es wäre unverantwortlich, Schulanfänger unter solchen Bedingungen zu unterrichten. Schulträger sind verpflichtet, Schulgebäude und -einrichtungen so auszustatten, dass sie für den Unterricht geeignet und sicher sind (s. DGUV Vorschrift 81 „Schulen“ und Regel 102-601). Hierzu zählt auch, dass keine gefährlichen Gegenstände wie scharfe Messer oder Küchengeräte in zugänglichen Bereichen aufbewahrt werden dürfen.
Fehlende Unterrichtsausstattung
Ein Klassenzimmer muss mit grundlegenden Materialien wie einer Tafel, Regalen oder Fächern für Schulmaterialien ausgestattet sein. Ohne diese grundlegenden Mittel ist ein sinnvoller Unterricht kaum möglich. Das Schulgesetz in Rheinland-Pfalz legt fest, dass Schulen über die notwendigen Unterrichtsräume und -mittel verfügen müssen, um die Bildungs- und Erziehungsziele zu erreichen. Räume wie die Schulküche, die weder mit Tafel noch mit ausreichend Platz für die notwendigen pädagogischen Aktivitäten wie Gruppenarbeit ausgestattet sind, entsprechen nicht diesen Anforderungen.
Störung durch den Mittagessenbetrieb
Die Lieferung des Mittagessens während der Unterrichtszeit und die gleichzeitige Nutzung des Raumes durch andere Schüler beeinträchtigen den Unterricht erheblich. Dies stört die Konzentration der Kinder und behindert den Ablauf des Unterrichts.
Hygienische Bedenken
Für Schulen gelten die Allgemeine Hygieneverordnung des Landes Rheinland-Pfalz und die Hygieneverordnung nach § 36 Infektionsschutzgesetz (IfSG). Demnach müssen Lernräume und Räume, in denen Lebensmittel verarbeitet oder ausgegeben werden, strenge hygienische Anforderungen erfüllen. Die Nutzung des Raumes als Schulküche und Klassenzimmer stellt ein hohes hygienisches Risiko dar. Die Hygienevorschriften für Küchen stehen in direktem Widerspruch zu den Anforderungen eines Klassenzimmers. Das Arbeiten und Essen an denselben Tischen erhöht das Risiko von Verunreinigungen, was insbesondere bei jungen Kindern gesundheitliche Gefahren birgt.
Eingeschränkte pädagogische Möglichkeiten
Der begrenzte Platz in der Küche schränkt zentrale pädagogische Arbeitsformen wie Gruppenarbeit, Stationsarbeit und den Sitzkreis stark ein. Diese sind jedoch elementare Bestandteile eines angemessenen Unterrichts für Schulanfänger. Die Lehrerin kann unter diesen Bedingungen keinen altersgerechten Unterricht gestalten, und die Kinder sind weniger motiviert und konzentriert, da der Raum nicht kindgerecht ist.
Rechtliche Grundlagen
Schulträger sind verpflichtet, sichere und angemessene Lernumgebungen bereitzustellen. Ein Klassenzimmer muss den Anforderungen der Schulaufsicht und des Arbeitsschutzes genügen. Die Schulküche erfüllt diese Anforderungen nicht. Dies könnte sogar gegen das Kinderrecht auf Bildung und eine gesunde Lernumgebung verstoßen.
Fazit
Die Unterbringung einer 1. Klasse in einer Schulküche ist weder rechtlich zulässig noch pädagogisch vertretbar. Ein gelungener Bildungsstart ist von entscheidender Bedeutung, da er die Grundlage für ihre gesamte schulische und persönliche Entwicklung legt. In den ersten Schuljahren lernen Kinder nicht nur wichtige Grundfähigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen, sondern entwickeln auch wichtige soziale und emotionale Kompetenzen. Eine angemessene Lernumgebung ist unerlässlich, um diese Entwicklung zu fördern und den Kindern einen erfolgreichen Start in die Schullaufbahn zu ermöglichen. Die Schulküche erfüllt diese Voraussetzungen jedoch nicht und beeinträchtigt sowohl die Sicherheit als auch die pädagogische Arbeit. Es muss daher eine Lösung gefunden werden, um die Sicherheit und die Qualität des Unterrichts sicherzustellen. Eine vorübergehende Zusammenlegung beider ersten Klassen könnte eine Möglichkeit sein, bis eine dauerhafte und angemessene Lösung gefunden wird.
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