Rheinland-Pfälzische Schule

Anmerkungen zum 9-Punkte-Plan für die Grundschule

Ja, es ist richtig – und eigentlich längst überfällig – den bildungspolitischen Fokus auf die Grundschulen zu richten. Sie stehen nachweislich vor zunehmenden Herausforderungen, wie beispielsweise unzureichenden Vorläuferfähigkeiten der Kinder in den Schuleingangsklassen, wachsender Heterogenität und steigenden Anteilen von Schülerinnen und Schülern mit mangelnden Sprachkenntnissen. Und dies in Zeiten bundesweiten Lehrkräftemangels und signifikant ansteigender Schülerzahlen!

Das nun vorgelegte Maßnahmenpaket, das stufenweise greifen wird, soll dazu beitragen, die Basiskompetenzen der Schülerinnen und Schüler zu stärken und Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit voranzubringen.

Hier ein kritischer Blick:

1. Im Rahmen eines Anschluss-Förderprogrammes werden 14,5 Millionen Euro investiert, um die Weiterführung der bewährten Corona-Aufholmaßnahmen für Schulen in herausfordernder Lage zu ermöglichen. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen.

Knackpunkte: Die Kriterien zur Bestimmung der Grundschulen in herausfordernder Lage müssen transparent und nachvollziehbar kommuniziert werden, um Verständnis für die Ungleichbehandlung der Schulen zu erwirken. Zudem muss eine ausreichende Personalisierung dieser Schulen sichergestellt sein. Nur so kann das zusätzliche (in der Regel nicht qualifizierte PES-) Personal tatsächlich für mehr Förderung eingesetzt werden und muss nicht zum Ausgleich personeller Unterversorgung bzw. für kurzfristigen Vertretungsbedarf herangezogen werden.

2. Die Stärkung bereits vorhandener Schulsozialarbeit an Grundschulen in herausfordernder Lage, und damit die Unterstützung der örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, mit weiteren 2,5 Millionen Euro ist gut investiertes Geld.

Knackpunkte: Chancenungleichheit und erschwerte Voraussetzungen für eine gelingende Bildungskarriere finden sich landesweit auch in ländlichen Regionen. Hier können vernetzte multiprofessionelle Teams, die mehr als nur Schulsozialarbeit beinhalten müssen, ergänzend zum schulischen Lernen fachliche Unterstützung leisten und Kindern zu einem guten Start verhelfen. Ein flächendeckender Ausbau ist unbedingt anzustreben.

3. In voraussichtlich zwei Städten in Rheinland-Pfalz soll über die Errichtung von Familiengrundschulzentren das komplette Umfeld der Kinder in die Bildungslaufbahn einbezogen werden und zu deren Bildungserfolg beitragen. Ein guter Ansatz, der sich in anderen Bundesländern bereits bewährte.

Knackpunkt: Die Finanzierung der Zentren obliegt den Schulträgern, denen es aufgrund schwieriger Haushaltslage oft nicht möglich ist, in zusätzliche Stellen und Räumlichkeiten zu investieren. Hier braucht es die Unterstützung durch das Land.

4. Damit die Sprachentwicklung auch der Kinder, die keine Kita besuchen, zuverlässig im Blick bleibt, soll die Schulanmeldung künftig früher erfolgen. Damit verbunden kann auch der Sprachstand bereits 1,5 Jahre vor Eintritt in die Schule – und damit früher als bisher – erhoben werden. Eine zu begrüßende Weiterentwicklung!

Knackpunkt: Grundschulen haben derzeit keinerlei Kapazitäten für zusätzliche Aufgaben. Eine erforderliche Sprachstandserhebung ist daher außerschulisch zu organisieren und muss für die Kinder mit Förderbedarf mit verbindlichen Förderangeboten durch ausgebildetes Personal einhergehen.

5. Ab dem Schuljahr 2024/2025 werden alle Grundschülerinnen und Grundschüler regelhaft in der 2. Klasse eine Stunde mehr Deutsch lernen. Dafür werden zusätzlich 80 Stellen für Grundschullehrkräfte zur Verfügung gestellt. Diese zusätzliche Lernzeit ist gut und wichtig. Ebenso der folgerichtige Stellenausbau.

Knackpunkt: Die Personalisierung der zusätzlichen Stellen wird eine Herausforderung. Es bleibt zu hoffen, dass Teilzeit-Klassenleitungen die Chance nutzen und ihr Deputat um eine Stunde aufstocken, um die Deutschstunde selbst erteilen zu können. Für die geplante Lernzeiterweiterung benötigen wir ausgebildetes Personal!

6. Über ein sogenanntes „Leseband“ wird eine tägliche verbindliche Lesezeit fest verankert, die es sicher schon an vielen Grundschulen gibt.

Knackpunkt: Wichtig ist es, dass die Lehrkräfte die Ausgestaltung der Vorgaben selbst bestimmen und sinnvoll mit ihrer Unterrichtsplanung abstimmen können.

7. Das in Rheinland-Pfalz entwickelte Programm „Mit Kindern im Gespräch“ wird weitergeführt. Alle Grundschulen haben aktualisierte Materialsets zur individuellen Sprachförderung erhalten. Es liegt in der Entscheidung der Lehrkräfte, dieses Material zu nutzen – das ist gut so.

Knackpunkt: Den Lehrkräften fehlt die Zeit, sich mit dem zeitintensiven Fortbildungstool auseinanderzusetzen.

8. Statt wie bisher ab Klassenstufe 1 wird das frühe Englisch bzw. Französisch ab Klassenstufe 3 einsetzen, dafür aber dann mit zwei statt bisher einer Wochenstunde.

Knackpunkt: Viele Schulen werden den Wegfall der gut etablierten, integrierten Fremdsprachenarbeit in den Klassenstufen 1 und 2 bedauern. Sehr bedenklich ist, dass der künftig zweistündige Fremdsprachenunterricht in den Klassenstufen 3 und 4 nicht durch eine Erweiterung der Stundentafel kompensiert wird. Dadurch wird es zu einer Lernzeitkürzung in anderen Fächern kommen, die sich ungünstig auf die Kernfächer auswirken wird.

9. Ab dem Schuljahr 2024/2025 erfolgt der Einsatz der Programme „Lesen macht stark“ und „Mathe macht stark“ flächendeckend. Somit werden Standards geschaffen, die den Erwerb der Grundkompetenzen an allen Schulen mit wissenschaftlich empfohlenen Diagnose- und Förderprogrammen unterstützen sollen.

Knackpunkte: Qualifizierte Grundschullehrkräfte sind Profis und erkennen sehr schnell die Ursachen der Lernschwierigkeiten ihrer Schülerinnen und Schüler. Differenzierungsmaterial zur Förderung steht ihnen ausreichend zur Verfügung. Was fehlt, ist die erforderliche Zeit, sich dem einzelnen Kind zuzuwenden. Verpflichtende, zusätzliche Diagnoseverfahren und Lernstandserhebungen unterstützen weder die Lehrkräfte noch die Kinder in ihrem Lernprozess. Die im Zusammenhang mit der verpflichtenden Einführung der beiden Programme prognostizierte Entlastung der Lehrkräfte ist nicht zu erkennen. Gefordert ist ein weiterhin freiwilliger Einsatz der Programme.

Fazit:

Ein differenzierter Blick auf die fast 1000 Grundschulen des Landes unter Berücksichtigung des Sozialindex macht Sinn, denn Ungleiches muss auch ungleich
behandelt werden. Ebenfalls gut und richtig sind eine frühe Feststellung des Sprachstandes der Kinder mit verbindlicher Förderung und die vorgesehene Lernzeiterweiterung, die auch für das erste Schuljahr wünschenswert wäre. Weiter bleibt jedoch nicht viel, was wirklich greift und die Stärkung der Basiskompetenzen von Grundschülerinnen und -schülern voranbringen würde.

Effizient und hilfreich wäre unter dem Anspruch von Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit die Einführung eines verpflichtenden Schuleingangsjahres in Rheinland-Pfalz. Darüber würde allen Kindern, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, ein erfolgreicher Start in die Schullaufbahn ermöglicht werden.

Ebenfalls sollte – gerade in Zeiten des Lehrkräftemangels – ernsthaft über Lehrkräfte-Assistenzen nachgedacht werden. Das zusätzliche Personal kann, nach erfolgreichem Abschluss eines zu entwickelnden Qualifizierungsangebotes, Grundschullehrkräfte stundenweise unterstützen und somit dazu beitragen, die Qualität des Unterrichts zu verbessern.

Es ist an der Zeit, Grundschule neu zu denken – mit den Ideen des VBE!

mkl